Vor ein paar Tagen bin ich im Wilden Westen angekommen. Oder sollte ich lieber wie Ed vom Goldenen Westen sprechen. Denn hier bin ich im Land der Goldgräber. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zog es während des großen Goldrauschs Tausende nach Nordkalifornien. Hier versuchten sie ihr Glück zu machen. In der Gegend um Redding wird man aller Orten mit diesem Teil der amerikanischen Geschichte konfrontiert.
So zum Beispiel in Old Shasta. Der kleine Ort liegt an der alten Postkutschenroute Richtung Westen und war lange Zeit Verwaltungszentrum von Shasta County. Als nur wenige Kilometer entfernt die Eisenbahn durch Redding und dort ein Bahnhof gebaut wurden, zogen die Händler, das Hotel und viele Bewohner hinunter ins Tal. Nur wenige blieben. Heute erinnern nur noch ein kleines Museum, der General Store und eine alte Schmiede an die glorreichen Zeiten. Als vor enigen Jahren die langsam verfallenden Fassaden einzustürzen drohten, sicherte man diese und baute den hölzernen Gehweg – Boardwalk – wieder auf. Old Shasta gleicht jetzt ein großes Freiluftmuseum.
Bildserie Old Shasta – © Knut HildebrandtEin anderes Schicksal ereilte Weaverville. Die Sägemühle am Ortseingang rettete das kleine Städtchen vor dem Verfall. In den Läden entlang der Hauptstraße decken sich allerdings schon lange nicht mehr Goldgräber und Holzfäller mit Proviant ein. In diese sind Cafés und kleine Galerien eingezogen. Nicht wenige der auf Highway 299 Richtung Westen reisenden machen in Weaverville Halt. Und viele nehmen sich dann auch etwas Zeit für einen Besuch des Bergbaumuseums oder des chinesischen Tempels. Wer darüber die Weiterfahrt vergessen hat, kann im Hotel gegenüber dem Courthouse eine Nacht wie in lang vergangenen Westentagen verbringen.
Abgesehen vom Goldrausch und den sich um ihn rankenden Geschichten entsprechen Redding und die angrenzenden Countys auch sonst vielen Klischees vom weiten Westen. Die Stadt liegt in einem ausgedehnten Tal und ist durch eine Bergkette vom Pazifik getrennt. Hier scheint man Platz zu haben und nutzt diesen auch. Fast jede Straße in der Hunderttausend-Einwohner-Stadt ist so breit wie in Berlin die großen Boulevards. Auf bis zu drei Spuren schieben sich in einem Fort Autos durch die Stadt. Und auf ein Auto ist man hier angewiesen. Nur um ein Bier zu kaufen kann man locker mal ein bis zwei Kilometer unterwegs sein. Und Alice, Eds Freundin, wohnt knappe zehn Meilen von der Innenstadt entfernt. Für hiesige Verhältnisse ist das gleich um die Ecke.
Bildserie Weaverville – © Knut HildebrandtAn dieser Stelle muß ich meine liebenswürdigen Gastgeber in Redding kurz vorstellen. Ed ist der Vater eines amerikanischen Freundes aus Berlin. Ed und seine Lebenspartnerin Alice haben mich in ihr Haus aufgenommen, als sei ich ihr eigener Sohn. Nur ihnen habe ich zu verdanken, daß ich hier so viel sehe und erlebe. Die beiden sind mit mir die vierzig Meilen bis Weaverville gefahren. Und Ed kutschiert mich fast jeden Tag zu einer weiteren Sehenswürdigkeit in und um Redding.
So zeigte er mir zum Beispiel die Sundial Bridge, eine futuristisch aussehende Fußgängerbrücke über den Sacramento. Und er lies es sich auch nicht nehmen mir dann noch eine Tour durch das exzellente Museum im angrenzenden Turtle Bay Exploration Park zu geben. Dort sahen wir unter anderem eine sehr schöne Ausstellung über das Sündenbabel „Wilder Westen“, die auch Ed noch nicht kannte. Einen ganzen Saal hatte man in Saloons, Spielhöllen und Bordelle verwandelt. Videos und Schaukästen berichteten eindrucksvoll davon, wie es damals zuging im heute recht puritanischen Amerika.
Bildserie French Gulch – © Knut HildebrandtDas war aber nicht die einzige Entdeckung für Ed und mich. In French Gulch, einem weiteren Städtchen in dem in alten Zeiten die Postkutschen Halt machten, wurden wir in eine Bar gewunken. Der Pub glich einem Museum. Sein Besitzer hatte hunderte Exponate aus der Geschichte des Ortes zusammen getragen. An den Wänden hingen Dutzende Gewehre und Pistolen, unter ihnen viele alte Winchester und Colts. So etwas hatte selbst Ed noch nicht gesehen. Auch der Barkeeper konnte als Teil der Ausstellung durchgehen. Der Typ hatte früher als Holzfäller gearbeitet und konnte mit unzähligen Geschichten aufwarten. Viele drehten sich die um zur Schau gestellten Waffen. Das Erstaunlichste war aber, weder er noch sein Kumpel wollte glauben, daß ich keine Waffen besitze noch Leute kenne, die welche haben. Das gibt es hier im Wilden Westen nicht.