Lissabon ist eine der schönsten Städte, die ich je besucht habe. Sie hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Man könnte fast von Liebe auf den ersten Blick sprechen. Was mich schon immer für einen Ort eingenommen hat, ist wenn er diesen morbiden Charme des Verfalls hat. Und Lissabon atmet ihn in all seinen engen Straßen, verwinkelten Gassen sowie den vielen kleinen Plätzen und Höfen, die urplötzlich hinter einer Straßenbiegung oder einem Torbogen auftauchen.
Bildserie „Altstadtgassen“ – © Knut HildebrandtDas soll jetzt nicht heißen, daß die Stadt herunter gekommen wirke. Ganz im Gegenteil. Es gibt viele aufgehübschte Ecken. Aber allerorten stehen neben fein säuberlich restaurierten Bürgerhäusern halb verfallene Ruinen oder nur notdürftig abgestützte Fassaden, denen über die Jahre das Innenleben abhanden gekommen ist. An vielen der alten Häuser bröckelt der Putz und von ihren Türen und Fenstern blättert die Farbe ab. Und trotzdem strahlen sie Leben aus. Sei es die im Wind flatternde Wäsche, die vor vielen Fenstern zum Trocknen hängt und den teils schon ergrauten Fassaden einen extra Farbtupfer verleiht oder die alte Omi, die von ihrem Logenplatz auf der Fensterbank das Treiben auf der Straße verfolgt, man spürt eine Fülle an Leben, das sich hinter den Mauern verbirgt.
Aber das Leben der Lissaboner spielt sich nicht nur in den eigenen vier Wänden ab. Auf den Plätzen, vor den kleinen Cafés am Straßenrand oder auf einer Bank im Park, überall sieht man junge aber auch viele ältere Menschen sitzen, eine Kaffee schlürfen, ein Bierchen zischen, Karten spielen oder nur einen Plausch halten. Da verspürte ich sofort Lust mich dazu zu setzen, einen Augenblick zu verweilen, vielleicht in einem Buch oder einer Zeitung zu blättern oder mich mit dem Tischnachbarn ein wenig zu unterhalten.
Bildserie „Straßenszenen“ – © Knut HildebrandtDoch leider hatte ich dafür nicht die Zeit. Letztendlich waren wir nur drei, viel zu kurze, Tage in der Stadt. Das war aber nicht von Anfang an klar. Eigentlich haben wir hier nur fest gemacht, weil wir auf günstigere Winde warten mußten. Und diese ließen auf sich warten. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt zu meiner großen Freude weiter nach hinten verschoben. Leider sickerte diese Neuigkeit immer erst kurz vor der geplanten Abfahrt durch, sodaß es nicht leicht fiel einen Plan für die Erkundung der Stadt zu machen.
Umso glücklicher war ich, als es dann hieß, daß wir doch noch den halben Sonntag in Lissabon sein werden. Ich schnappte mir früh die Kamera, packte zwei Äpfel als Wegzehrung ein und stürmte zur Straßenbahn um mich von dieser ins Zentrum, zur Praca de Comércio bringen zu lassen. Von dort brach ich zu meiner Erkundungsreise in die verwinkelten Gassen von Alfama, über denen die alte Festung thront, auf.
Bildserie „Praca de Comércio“ – © Knut HildebrandtAnfangs folgte ich noch den sich den Berg hinauf schlängelnden Straßen. Doch schon bald nahm ich Abkürzungen durch verwinkelte Gassen und strebte über ausgetretene Steintreppen weiter meinem Ziel, dem Castelo de S. Jorge, entgegen. Stundenlang hätte ich so herum streifen können. Hinter jeder Ecke tauchte eine neue Überraschung auf. Mal war es ein Gesicht auf einer Mauer, aus dessen aufgerissenem Mund sich ein feiner Wasserstrahl in ein darunter befindende Steinbecken ergoß. An anderer Stelle forderte ein in die Hauswand eingelassenes Heiligenbild aus Keramik meine Aufmerksamkeit. Auf Schritt und Tritt gab es Dinge zu entdecken; überlebensgroße Graffiti, Blumenkübel aus denen mir Plastikblüten entgegen sprießten, Kuscheltieren die sich an Fensterscheiben schmiegten oder die Auslagen diverser interessanter Geschäfte. Zum Teil fühlte ich mich beim Anschauen dieser in lang vergangene Zeiten zurück versetzt.
Ganz besonders faszinierten mich die alten Straßenbahnen. Auch diese schienen einem anderen Zeitalter entsprungen zu sein. Großzügig geschätzt würde ich sagen, daß sie hundert Jahre auf dem Buckel hatten. Und wenn nicht diese, dann aber bestimmt weit mehr als fünfzig. Auf jeden Fall hätten sie gut in die Sammlung eines jeden Museums für historische Verkehrsmittel gepaßt. Aber anstatt auf dem Museumsparcourt bedächtige Runden zu drehen, ratterten sie in Lissabon die steilen Hügel hinauf und schoben sich mit lautem Gekreisch um die Ecken der engen Straßen.
Bildserie „Straßenbahnen“ – © Knut HildebrandtEine ganz besondere Überraschung erwartete mich kurz bevor ich zurück zum Schiff eilen mußte. Mittlerweile machte sich der kleine Hunger bemerkbar und da ich die Lunchzeit auf dem Boot verpaßt hatte, schaute ich mich nach einem günstigem Platz zum Essen um. Vor einem kleinen Restaurant, das mir schon auf dem Weg zum Castelo ins Auge gefallen war, stand ein Pärchen und studierte die Karte. Etwas ungeduldig stand ich hinter ihnen und hoffte auch endlich einen Blick drauf werfen zu können. Fast wäre ich schon weiter gegangen, mir etwas anderes suchen, da drehten sich die beiden um und ein Aufschrei schallte durch die kleine Straße: „Knut, was machst Du denn hier?“ Vor mir standen Nadine und Thomas aka Kai-Uwe, zwei alte Freunde aus Berlin, die einen Tag zuvor für einen Kurzurlaub nach Portugal gekommen waren. Die Karte brauchte ich nun nicht mehr zu studieren. Wir sind gemeinsam in den Laden gegangen und haben ein unterhaltsames Mittagsmahl genossen.