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Lieber mit Stil

Bin ich froh meine ersten Segelerfahrungen mit diesem Haufen lustiger Holländer auf der Oosterschelde machen zu dürfen. Trotz kleinerer Schwierigkeiten läuft hier alles sehr entspannt und ungezwungen ab. Daß es auch anders geht, habe ich im Hafen von Funchal erfahren dürfen. Dort lag neben der Oosterschelde ein weiterer Dreimaster, die Alexander von Humboldt II. Die alte Alex dürfte dem regelmäßigen Kinogänger durch die Becks-Werbung geläufig sein. Sie ist das Schiff mit den grünen Segeln, auf dem gut gelaunte junge Menschen lässig Bier schlürfen.

Bildstrecke Freizeit Bildserie „Freizeit an Bord“ – © Knut Hildebrandt

Nur geht es wohl bloß auf dem Schiff in der Werbung derartig locker zu. Denn auf einem deutschen Segler muß alles seine Ordnung haben. Allein der Rundgang, den wir netter Weise machen durften, bedurfte eines mittleren Verwaltungsaktes. An Bord wurden wir von einem kleinem Empfangskomitee begrüßt, welches jedem eine Besucherkarte ausstellte. Dabei ließ man uns wissen, daß wir für die Registrierung eigentlich unsere Pässe hätten vorlegen müssen. Ganz so schlimm kam es dann doch nicht. Wir mußten uns lediglich in die Besucherliste eintragen. Dann konnte die Tour beginnen.

Fünfzehn Millionen habe man für den Neubau ausgegeben, wurde uns gleich als erstes mitgeteilt. Ich für meinen Teil würde sagen: dieses Geld ist nicht optimal angelegt worden. Zumindest wenn man als Vergleich die Oosterschelde heran zieht. Deren Ausbau hatte seinerzeit gut drei Millionen Gulden gekostet. Auch kein Pappenstiel, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Aber zu den Annehmlichkeiten unserer alten Dame möchte ich später kommen. Jetzt erst etwas mehr über die Alex II.

Bildstrecke auf Deck Bildserie „Auf Deck“ – © Knut Hildebrandt

Bestimmt genügt diese jetzt allen nur erdenklichen Vorschriften, die man in Deutschland ersonnen hat. Aber so ein Schiff sollte auch eine Seele haben und davon stand offensichtliche nichts im einschlägigen Regelwerk. Denn dann hätte die Alex sicher etwas anders ausgesehen. Sie strahlte nämlich den Charme eines kürzlich eröffneten Krankenhauses aus. Alles auf ihr wirkte steril. Ein sicher praktischer Kunststoffbelag zierte die Böden der Gänge, Kabinen und Messe. Deren Wände waren in freundlichen, hellen Farben gehalten. Aber müssen diese unbedingt weiß, grau und beige heißen?

Die Messe erinnerte an die frisch renovierte Mensa einer Provinz-Uni. Und selbst dort hätte man wahrscheinlich versucht, ihr eine persönliche Note zu geben. Aber auf der Alex II hielt man das wohl nicht für nötig. Denn auch der Salon strahlte nicht viel mehr Wärme aus. Das Mobiliar wirkte wie bei IKEA oder einem anderen großen Möbeldiscounter erstanden. Und sechs Wochen nach Inbetriebnahme des Schiffes hatte der Zahn der Zeit noch nicht ausreichend Gelegenheit gehabt, ihm etwas Persönlichkeit zu verleihen.

Welch ein Kontrast zur Osterschelde. Messe und Salon sind bei ihr ein riesiger Raum mit naturbelassenem Dielenboden und bis auf Schulterhöhe mit Holz verkleideten Wänden. An diesen hängen dutzende kleine Gemälde, die das Leben auf historischen Segelschiffen darstellen und nicht weniger Bilder unserer alten Dame selbst. Da hat sich über die letzten hundert Jahre einiges angesammelt. Das schönste ist ein riesiges Foto direkt über dem Kapitänstisch, wie ich ihn mal nennen möchte. Es zeigt die Oosterschelde, voll unter Segeln, wie sie unter tief hängenden, grauen Wolken über die Gischt der vom Wind gepeitschten See fliegt.

Bildstrecke Salon Bildserie „Salon“ – © Knut Hildebrandt

Neben besagtem Tisch steht dann gleich der erste Bücherschrank mit einer reichen Sammlung an Literatur zur Seefahrt, insbesondere auf Segelschiffen, und den dabei zu erkundenden Ländern. Der zweite steht neben dem Klavier, das natürlich in einer gut ausgestatteten Messe nicht fehlen darf. Ebenfalls nicht fehlen durfte ein kleiner Kaminofen. Denn nicht immer bereist die Oosterschelde wärmere Gefilde. Auch Spitzbergen oder sogar die Antarktis wurden schon angesteuert. Da kann es schon mal etwas frostig zugehen. Und damit nicht nur die Sachen getrocknet, sondern auch der durchgefrorene Körper wieder aufgewärmt werden kann, gibt es eine kleine Bar, die mit Spirituosen aus aller Herren Länder gut bestückt ist.

Am Heck zugewandten Ende der Messe führt eine steile Treppe mit zwei in der Sonne blitzenden Messinggeländern hinauf zu einer kleinen Empore. Hier befindet sich eine gemütliche Sitzecke. Neben einem alten Ruder, einer kleinen Kanone und einer riesigen Rumbuddel mit dem Modell der Oosterschelde zählt ein wunderschöner Ledersessel zu ihren wichtigsten Ausstattungsstücken. Letzterer ist, obwohl zum Schreiben am Rechner nicht wirklich geeignet, einer meiner Lieblingsplätze an Bord.

Bildstrecke Details Bildserie „Details“ – © Knut Hildebrandt

Aber nicht nur im Punkte Atmosphäre hatte die Oosterschelde der Alexander von Humboldt II einiges voraus. Auch der Umgang an Bord scheint um ein vielfaches entspannter zu sein. Auf einem deutschen Schiff gibt es einfach viel mehr unsinnige Regeln, die dann im Zweifelsfall auch noch eingehalten werden. So durfte der Typ der uns herumführte, obwohl leidenschaftlicher Koch und seit zwanzig Jahren regelmäßiger Mitsegler, keinen Fuß in die Küche setzen. Er hatte nicht die von der Hygiene vorgeschriebenen Papiere.

An Bord der Oosterschelde wäre das undenkbar gewesen. Nach dem Essen drückt sich die halbe Mannschaft in der Kombüse herum, hilft beim Spülen oder Abtrocknen. Und kommt mal jemand zu spät zum Frühstück, weiß er immer, wo sich im Kühlschrank noch ein Happen finden läßt. Was würde die deutsche Hygiene wohl dazu sagen? Oder besser noch zu dem riesigen Schinken – man könnte fast von einem halben Schwein reden – den Maarten in Bayona auf dem Markt erstanden hat. Dieser hängt jetzt mitten in der Kombüse und verschwindet nach und nach in den Mägen meiner Mitreisenden.

Hommage an eine bezaubernde Stadt

Lissabon ist eine der schönsten Städte, die ich je besucht habe. Sie hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Man könnte fast von Liebe auf den ersten Blick sprechen. Was mich schon immer für einen Ort eingenommen hat, ist wenn er diesen morbiden Charme des Verfalls hat. Und Lissabon atmet ihn in all seinen engen Straßen, verwinkelten Gassen sowie den vielen kleinen Plätzen und Höfen, die urplötzlich hinter einer Straßenbiegung oder einem Torbogen auftauchen.

Bildstrecke Altstadt-Gassen Bildserie „Altstadtgassen“ – © Knut Hildebrandt

Das soll jetzt nicht heißen, daß die Stadt herunter gekommen wirke. Ganz im Gegenteil. Es gibt viele aufgehübschte Ecken. Aber allerorten stehen neben fein säuberlich restaurierten Bürgerhäusern halb verfallene Ruinen oder nur notdürftig abgestützte Fassaden, denen über die Jahre das Innenleben abhanden gekommen ist. An vielen der alten Häuser bröckelt der Putz und von ihren Türen und Fenstern blättert die Farbe ab. Und trotzdem strahlen sie Leben aus. Sei es die im Wind flatternde Wäsche, die vor vielen Fenstern zum Trocknen hängt und den teils schon ergrauten Fassaden einen extra Farbtupfer verleiht oder die alte Omi, die von ihrem Logenplatz auf der Fensterbank das Treiben auf der Straße verfolgt, man spürt eine Fülle an Leben, das sich hinter den Mauern verbirgt.

Aber das Leben der Lissaboner spielt sich nicht nur in den eigenen vier Wänden ab. Auf den Plätzen, vor den kleinen Cafés am Straßenrand oder auf einer Bank im Park, überall sieht man junge aber auch viele ältere Menschen sitzen, eine Kaffee schlürfen, ein Bierchen zischen, Karten spielen oder nur einen Plausch halten. Da verspürte ich sofort Lust mich dazu zu setzen, einen Augenblick zu verweilen, vielleicht in einem Buch oder einer Zeitung zu blättern oder mich mit dem Tischnachbarn ein wenig zu unterhalten.

Bildstrecke Straßenszenen Bildserie „Straßenszenen“ – © Knut Hildebrandt

Doch leider hatte ich dafür nicht die Zeit. Letztendlich waren wir nur drei, viel zu kurze, Tage in der Stadt. Das war aber nicht von Anfang an klar. Eigentlich haben wir hier nur fest gemacht, weil wir auf günstigere Winde warten mußten. Und diese ließen auf sich warten. Von Tag zu Tag wurde die Abfahrt zu meiner großen Freude weiter nach hinten verschoben. Leider sickerte diese Neuigkeit immer erst kurz vor der geplanten Abfahrt durch, sodaß es nicht leicht fiel einen Plan für die Erkundung der Stadt zu machen.

Umso glücklicher war ich, als es dann hieß, daß wir doch noch den halben Sonntag in Lissabon sein werden. Ich schnappte mir früh die Kamera, packte zwei Äpfel als Wegzehrung ein und stürmte zur Straßenbahn um mich von dieser ins Zentrum, zur Praca de Comércio bringen zu lassen. Von dort brach ich zu meiner Erkundungsreise in die verwinkelten Gassen von Alfama, über denen die alte Festung thront, auf.

Bildstrecke Praça de Comércio Bildserie „Praca de Comércio“ – © Knut Hildebrandt

Anfangs folgte ich noch den sich den Berg hinauf schlängelnden Straßen. Doch schon bald nahm ich Abkürzungen durch verwinkelte Gassen und strebte über ausgetretene Steintreppen weiter meinem Ziel, dem Castelo de S. Jorge, entgegen. Stundenlang hätte ich so herum streifen können. Hinter jeder Ecke tauchte eine neue Überraschung auf. Mal war es ein Gesicht auf einer Mauer, aus dessen aufgerissenem Mund sich ein feiner Wasserstrahl in ein darunter befindende Steinbecken ergoß. An anderer Stelle forderte ein in die Hauswand eingelassenes Heiligenbild aus Keramik meine Aufmerksamkeit. Auf Schritt und Tritt gab es Dinge zu entdecken; überlebensgroße Graffiti, Blumenkübel aus denen mir Plastikblüten entgegen sprießten, Kuscheltieren die sich an Fensterscheiben schmiegten oder die Auslagen diverser interessanter Geschäfte. Zum Teil fühlte ich mich beim Anschauen dieser in lang vergangene Zeiten zurück versetzt.

Ganz besonders faszinierten mich die alten Straßenbahnen. Auch diese schienen einem anderen Zeitalter entsprungen zu sein. Großzügig geschätzt würde ich sagen, daß sie hundert Jahre auf dem Buckel hatten. Und wenn nicht diese, dann aber bestimmt weit mehr als fünfzig. Auf jeden Fall hätten sie gut in die Sammlung eines jeden Museums für historische Verkehrsmittel gepaßt. Aber anstatt auf dem Museumsparcourt bedächtige Runden zu drehen, ratterten sie in Lissabon die steilen Hügel hinauf und schoben sich mit lautem Gekreisch um die Ecken der engen Straßen.

Bildstrecke Straßenbahn Bildserie „Straßenbahnen“ – © Knut Hildebrandt

Eine ganz besondere Überraschung erwartete mich kurz bevor ich zurück zum Schiff eilen mußte. Mittlerweile machte sich der kleine Hunger bemerkbar und da ich die Lunchzeit auf dem Boot verpaßt hatte, schaute ich mich nach einem günstigem Platz zum Essen um. Vor einem kleinen Restaurant, das mir schon auf dem Weg zum Castelo ins Auge gefallen war, stand ein Pärchen und studierte die Karte. Etwas ungeduldig stand ich hinter ihnen und hoffte auch endlich einen Blick drauf werfen zu können. Fast wäre ich schon weiter gegangen, mir etwas anderes suchen, da drehten sich die beiden um und ein Aufschrei schallte durch die kleine Straße: „Knut, was machst Du denn hier?“ Vor mir standen Nadine und Thomas aka Kai-Uwe, zwei alte Freunde aus Berlin, die einen Tag zuvor für einen Kurzurlaub nach Portugal gekommen waren. Die Karte brauchte ich nun nicht mehr zu studieren. Wir sind gemeinsam in den Laden gegangen und haben ein unterhaltsames Mittagsmahl genossen.