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Zurück ins verlorene Paradies

Am Straßenrand liegen drei große gelbe Steine. Dort müsse ich aussteigen, hieß es in der Wegbeschreibung. Der Fahrer des Busses weiß sofort Bescheid, als ich ihm den Flyer in die Hand drücke. „Ach, zu Andrews Wolkenschloss möchtest Du,“ meint er und tritt kurz auf die Bremse. Sekunden später stehe ich neben einem großen Schild, welches das verlorene Paradies verspricht. Hier irgendwo soll also das „Lost and Found Eco Hostel“ zu finden sein. Mitten in der Wildnis. Nicht weit entfernt von der einzigen Straße, welche im Norden Panamas den Pazifik mit der Karabikküste verbindet.

Blick von Aussichtspunkt Blick von Aussichtspunkt über Chirique – © Knut Hildebrandt

Wenn ich der Webseite des Hostels Glauben schenken darf, sind es nur noch wenige Minuten Fußmarsch. Aber wo ist der Weg, von dem die Rede war? Die meinten doch nicht etwa den schmalen Trampelpfad durch die Kaffeeplantage vor mir? Ich schultere mein Gepäck und stapfe diesem folgend den steilen Berg hinauf. Eine viertel Stunde später stehe ich völlig durchnässt inmitten des Dschungels auf einer weitläufigen, überdachten Terrasse. „Warum hast Du nicht angerufen,“ fragt Luz. „Wir hätten Dir geholfen mit dem vielen Gepäck,“ sagt sie lächelnd und reicht mir einen heißen Kaffee.

Luz kocht für die Gäste des „Lost and Found“. Sie hält die Zimmer in Schuss und macht auch mal Reservierungen klar, wenn Andrew nicht da ist. Die angehende Studentin arbeitet gerne im Hostel des jungen Kanadiers. Ruhig ginge es hier oben zu, sagt Luz. „Und ich kann mein Englisch ein wenig aufbessern,“ fügt sie hinzu.

Lost and Found Das Lost and Found im Dschungel – © Knut Hildebrandt

Seit frühester Kindheit interessiert sich Andrew für Tiere. Als er vor einigen Jahren zur Vogelbeobachtung nach Panama kam, verliebte er sich nicht nur in das Land sondern auch in seine Frau Stephany. Was lag da näher, als der kalten Heimat den Rücken zu kehren und in Panama ein neues Leben zu beginnen? Mit seinem Partner Patrick gründete Andrew das „Lost and Found Hostel“. Gemeinsam bauten sie Beobachtungsplatformen in den Regenwald und trotzten diesem auch den Platz für Schlafsäle und einen Gemeinschaftsraum mit Videothek und Billardtisch ab. „Jeden Sack Zement, jeden Stahlträger mussten wir auf unseren Schultern den Berg hinauf schleppen,“ beschreibt Andrew die schwierigen Anfänge ihres Öko-Projektes. Jetzt wendet er sich wieder seinen ursprüngliche Interessen zu. Andrew organisiert Touren für die Gäste des Hostels und zeigt ihnen die Naturwunder Panamas.

Fluß im Dschungel Fluß im Dschungel – © Knut Hildebrandt
Mit von Anfang an dabei war Gabriel. Der gut dreißigjährige Panamese ist heute für den reibungslosen Betrieb des Hostels zuständig. Er sorgt dafür, dass es in der Dusche immer warmes Wasser gibt und im Kühlschrank nie das Bier ausgeht. Mehrmals am Tag steigt er den schmalen Pfad zur Straße hinab, um Nachschub zu organisieren; leere Gasflaschen zu tauschen und neuen Proviant zu besorgen. In letzter Zeit gehört der Ausbau der Wanderwege zu Gabriels wichtigsten Aufgaben. Zusammen mit Andrew hat er bereits mehrere Kilometer Fußweg angelegt. Auf diesen erreicht man nicht nur einen Aussichtspunkt, von dem der Blick bis fast zur Pazifikküste reicht. Eine knappe Stunde später stößt der Pfad auf einen kleinen Fluß, dessen eiskaltes Wasser zum erfrischenden Bad einlädt.

Das beste am „Lost and Found“ aber ist: um all die Schönheit der Natur zu erleben muss der Gast das Hostel nicht einmal verlassen. Man ist hier mitten drin im Nebelwald. Der Dschungel und seine Bewohner sind zum Greifen nah.

Als der Regen wieder einmal leise auf das Blechdach trommelt, lasse ich mich im Sessel auf der Aussichtsplattform nieder. Von hier könnte ich bei klarem Wetter sogar den Barú, Panamas höchsten Vulkan, erspähen. Doch heute sehe ich nur dichte Nebelschwaden durch die Baumwipfel ziehen. Hoch oben hangelt sich eine Horde Affen von Ast zu Ast. Ein grünlich schimmernder Kolibri kommt hektisch mit den Flügel schlagend vorbei geschwirrt. Kurz nascht er von den dunkelroten Blüten am Rande der Terrasse. Dann fliegt er weiter. Aufmerksam suche ich die Bäume ab. Vielleicht bekomme ich das von Gabriel erwähnte Faultier zu Gesicht. Aber soviel Glück ist mir dann doch nicht beschieden.

Am Abend – es ist schon eine Weile dunkel – kommt Andrew noch einmal vorbei. Er holt Bananen aus dem Kühlschrank, schneidet diese klein und verteilt sie auf der Plattform. Kurze Zeit später raschelt es im Unterholz. Ein putziges Kerlchen mit spitzer Nase springt zu uns auf die Terrasse und fällt über die Bananenscheiben her. „Das ist ein Cacomistle,“ meint Andrew. „Sicher kommt gleich der Olingo noch vorbei,“ fügt er hinzu. Dieser lässt nicht lange auf sich warten. Auch er möchte am Festschmaus teilhaben, was dem Cacomistle überhaupt nicht gefällt. Sofort setzt ein großes Gezeter ein und die beiden streiten heftig um die restlichen Bananenstücken.
Andrew

Andrew mit Kinkajou – © Knut Hildebrandt

Andrew nutzt das Durcheinander, um kurz zu verschwinden. Wenige Augenblicke später kehrt er mit einem Fellbündel im Arm zurück. Wie die beiden Streithähne gehört auch sein Kinkajou zu den im Regenwald lebenden Kleinbären. Das nachtaktive Tier ist kaum zu bändigen. Ständig versucht es Andrew zu entwischen. „Ich kann ihn leider nicht frei lassen,“ sagt der Tierfreund. „Das wäre sein sicheres Ende,“ erklärt er weiter. Denn den Kinkajou hat Andrew vor einigen Jahren aus einem Schuhkarton befreit. In diesem wurde er groß gezogen und als Maskottchen gehalten. Jetzt lebt das Tier in einem geräumigen Käfig nur wenige Meter entfernt von der Herberge.

Nachdem die Raubtierfütterung beendet ist, kehrt Ruhe im Hostel ein. Andrew geht nach einen langen, anstrengenden Tag heute früh schlafen. Auch die anderen Gäste ziehen sich bald auf ihre Zimmer zurück. Ich nutze die stille Nacht, um noch ein wenig zu arbeiten. Während ich Bilder vom Ausflug in den Nebelwald sortiere, kommt eine Gottesanbeterin angeschwebt. Sie nimmt Platz auf meinem Laptop und beginnt sich anmutig zu putzen. Erst als ich, jetzt auch müde geworden, den Bildschirm zuklappe, verschwindet auch sie wieder im feuchten Blättergewirr.

One night in Santa Maria

Nach dem Abendessen bin ich mit Lau, Rob und Stanley ausgegangen. Unser erster Anlaufpunkt in Santa Maria war, was anfangs wie eine Sportbar aussah. Grelles Neonlicht schien uns entgegen. Ein paar Leute standen um einen Pooltable. Der Rest starrte auf den Fernseher neben dem Tresen und folgte gespannt einem Fußballspiel. Den Tresen einen solchen zu nennen, ist auch eher gewagt. Eigenlicht bestand er nur aus einem Fenster in der Wand. Hinter diesem verbargen sich eine Zapfanlage und ein Kühlschrank mit Flaschenbieren und Softdrinks. Allerdings holte sich außer uns sich kaum jemand dort etwas zu trinken.

Dinghy Landgang auf Sal – © Knut Hildebrandt

Das eigentliche Geheimnis der Bar sollte sich bald lüften. Denn nach und nach füllte sich der Laden. Während die neuen Gäste sich einen freien Platz an den Tischen suchten, rannte ein Typ durch die Menge und tauschte bunte Pappkärtchen gegen Geld. Jeder der Neuankömmlinge hatte bald mehrere dieser Karten und einen Haufen Maiskörner vor sich zu liegen. Während sich Lau, Rob und Stanley noch anbrüllten, um das Gemurmel im Raum zu übertönen, kehrte langsam Ruhe ein. Plötzlich nahm ein Typ eine abgegriffene Plastikflasche in die Hand, schüttelte diese, fingerte etwas aus ihr heraus und rief laut ein Zahl in die Runde. Ein Teil der Anwesenden griff ein Maiskorn und platzierte es auf dem Päppchen vor sich. Nun wußten wir, daß wir in einem Bingoladen gelandet waren.

Plötzlich war auch Schluß mit unserer Unterhaltung. Denn das hätte nur die gespannte Ruhe im Saal gestört. Also folgten wir anfangs interessiert, irgendwann leicht gelangweilt dem Geschehen und schlürften dabei unsere Biere aus. Rechtzeitig zum Ende des Spieleabends, der anscheinend nur aus drei Runden bestand, war auch das geschafft und wir zogen weiter.

Fischer am Strand Feierabendbier – © Knut Hildebrandt

Der nächste Laden wirkte wie ein kleiner Imbiss. Vor ihm saßen ein paar Leute und tranken Bier oder Wein. Wir gesellten uns dazu und bestellten drei Gezapfte und eine Runde Grog, den wir nach Laus Meinung unbedingt probieren mußten. Erstere kamen dann auch ziemlich schnell, letzterer nie. Denn während wir den Gerstensaft die Kehlen herunter rinnen ließen, wurden an den anderen Tischen bereits die Stühle hoch gestellt. Alles sah nach Feierabend aus.

Bevor wir weiter zogen, entbrannt noch einmal die Diskussion, wohin es denn eigentlich gehen sollte. Stanley wollte unbedingt tanzen gehen. Er war eigentlich schon sauer gewesen, daß wir nicht in dem Diskoschuppen, in den wir vor unserer Spielhölle kurz hinein gelugt hatten, geblieben sind. Aber sowohl Lau, als auch Rob gefiel House so wenig wie mir, sodaß Stanley keine Chance hatte uns zum Bleiben zu überreden. Da den beiden immer noch nicht so recht nach Tanzen zumute war, tanzte Stan schon mal für sich alleine über die Straße und war dann plötzlich verschwunden. Und somit waren es ihrer nur noch drei.

Diese zogen dann weiter und entdeckten zwei Straßenecken weiter das wahre Nachtleben Santa Marias. Vor einem winzigen Laden standen mehrere Tische und ein Grill. Ständig hielten Autos an. Die Insassen griffen sich schnell etwas vom Rost oder ließen sich an einem der Tische nieder. Letzteres taten dann auch wir. Gezapftes gab es hier zwar nicht, dafür aber den Grog. Fragt bitte nicht nach Sonnenschein. Man hätte das Zeug auch gut als Putzmittel benutzen können, so scharf war es. Mich erinnerte das Gesöff irgendwie an den Billig-Mezcal, den es in den Bars Oaxacas gratis zum Bier gibt. Und der wirkt tödlich. Es versprach also noch ein lustiger Abend zu werden.

Bildstrecke Sloop Bildserie „In der Schaluppe vor Santa Maria“ – © Knut Hildebrandt

Aber erst einmal harrten unserer andere Abenteuer. Die Damen am Nebentisch schienen an einer Unterhaltung mit uns interessiert zu sein. Nach ein, zwei spendierten Drinks kam diese dann auch so langsam in Gang. Und zumindest eines der Mädels zeigte Interesse an weiter gehender Konversation. Während Lau intensiv ihre Hand knetete schlug sie vor, sich bei ihr zu Hause weiter zu unterhalten. Da die beiden anderen zwischenzeitlich verschwunden waren, zogen Rob und ich es vor, dies auch zu tun und Lau das Feld alleinzu überlassen. Und so waren wir nur noch zu zweit.

Santa Maria ist am Tage ein todlangweiliges und nicht gerade schönes Kaff. Neben unzähligen Hotels gibt es hier jede Menge Reisebüros und Immobilienhändler, die allerdings am Samstag alle ab Mittag geschlossen haben. Das gilt nicht für die Gastronomie. Ganz im Gegenteil, je später der Abend, umso mehr geht es ab. Also turnten Rob und ich als nächstes in einen recht cool wirkenden Club, aus welchem uns gute Musik entgegen schallte. Von dem ebenfalls cool aussehenden, international besetzten Personal hinter der Bar ließen wir uns zwei nicht gerade günstige Minibiere in die Hand drücken. Danach war dann aber auch schon Schluß mit dem Coolsein. Als ich mich ganz lässig auf einen der Tische schwang, wurde ich ziemlich uncool darum angehalten, mich doch lieber an diesen zu setzen. Zum Glück waren die Bierchen ja nicht allzu groß, sodaß es nicht lange dauerte bis wir endlich weiter ziehen konnten.

Bildstrecke Inseln am Morgen Bildserie „Inseln am Morgen“ – © Knut Hildebrandt

Der letzte Laden auf unserem Streifzug glich in vielem dem dritten. Er war winzig. Man konnte sich kaum um die eigene Achse drehen. Aber es gab eiskaltes Bier. Und das war es, was wir wollten. Während wir bedächtig durch das zweite oder dritte Fläschchen schlürften, klingelte Robs Telefon. Lau wollte wissen, wo wir stecken. Als wir vor die Tür traten, um ihn besser verstehen zu können, kam er auch schon allein um die Ecke geschossen. Auf meine Frage, was denn aus seiner Süßen geworden sei, war er recht kurz angebunden. Er meinte nur, diese sei genau das gewesen, was man bei ihrer Offenheit hätte erwarten können. Und danach habe ihm nicht der Sinn gestanden.

Vielmehr war ihm jetzt noch nach einer weiteren Runde Grog zumute. Diese wurde dann auch prompt eingeschenkt und sofort ausgetrunken. Ich kann mich jetzt nicht mehr so recht erinnern, wie viele Runden danach noch kamen. Angesichts der Tatsache, daß ich am nächsten Morgen nur kurz aufgestanden bin, um eine Runde ums Boot zu schwimmen und mich dann erst wieder von der Schiffsglocke zum Mittagessen wecken ließ, könnten es noch einige gewesen sein.

Nicht desto Trotz haben wir es heil auf das Schiff zurück geschafft. Und welch ein Wunder: als wir auf dem Landungssteg auf das Schlauchboot warteten, tauchte auch unsere Tanzmaus Stanley wieder auf. So konnten Fabienne und Anouk uns vier Landausflügler ohne größere Suchaktionen einsammeln und sicher zur Oosterschelde zurück bringen.