Schlagwort-Archive: Kostüm

Payasos Mexicanos – Mexikanische Clowns

Mexikanische Clowns sind mehr als Zirkusartisten. Im Zentrum Oaxacas erfreuen Clowns allabendlich Einheimische und Touristen mit Straßentheater.

Ansage Bonboncito startet den Wettbewerb – © Knut Hildebrandt

„Kommt und lasst Euch schminken!“ So klingt es kurz vor Eins im Llano aus einem Megafon. „Geht alles mit Wasser wieder ab“, ruft der Clown im weißen Torrerokostüm in die Menge. In der Mitte des parkähnlichen Platzes im Zentrum Oaxacas drängt sich eine dichte Menschentraube um ein gutes Dutzend Clowns. Es ist der Día del Payaso, der Tag des Clowns und die Spassmacher zelebrieren im Llano einen Schminkwettbewerb. In zehn Minuten soll so vielen Kindern wie möglich das Gesicht bunt angemalt werden.

Bomboncito beteiligt sich nicht am Wettbewerb. Zumindest nicht mit dem Schminkkasten. Wild mit einer Kladde fuchtelnd, teilt er die Kinder den schminkenden Clowns zu. „Ich gehöre zur Jury“, sagt er kurz.

Facepainting Clown bei Facepainting – © Knut Hildebrandt

Der 25-Jährige heisst im richtigen Leben Arturo Esteva García. Mit seiner feinen roten Nase, der tief in das Gesicht gezogen Melone, dem weissen Torrero-Kostüm und den silbernen Balletschühchen sieht er nicht wie ein typischer Clown aus. Er wirkt sehr feminin – fast femininer als seine weiblichen Kollegen. Wie alle anderen Clowns stecken auch diese in grellbunten Kostümen und viel zu grossen Schuhen.

„Drei! Zwei! Eins! Los!“ Die Clowns greifen zu Pinsel und Schwämmchen, tauchen diese in Farbtöpfe und zaubern den Kindern Ornamente und Tierfratzen auf die Gesichter. Während seine Kollegen die wartenden Kleinen in Windeseile schminken, schaut Bomboncito Mary Poppins über die Schulter. „Es ist interessant zu sehen, was andere für Tricks auf Lager haben,“ erklärt er. Marys Schminkstil unterscheidet sich deutlich von dem der Clowns. Die in Oaxaca lebende Künstlerin stammt nämlich aus England, wo sie auch ihr Handwerk erlernt hat.

Erfahrungsaustausch Erfahrungsaustausch mit Mary Poppins – © Knut Hildebrandt

Eigentlich hat Bomboncito solche Nachhilfe gar nicht nötig. Denn seinem Beruf geht er schon seit mehr als einem Jahrzehnt nach. „Und Schminken gehört dabei zum Handwerkszeug“, erzählt der Clown und reicht mehrere Pokale von einem hohen Holzschrank herunter. „Die habe ich bei Schmink-Wettbwerben gewonnen“, ergänzt er stolz. Unter den Auszeichnungen ist auch ein erster Preis von der XIII. Internationalen Clowns Convention in Mexiko Stadt.

Überall in Bomboncitos Zimmer liegen Clownsutensilien verstreut. Unter dem Bett lugt ein Paar der übergrossen Schuhe hervor. Über einem Stuhl hängt sein weisser Torrero-Anzug und neben dem Regal in der Ecke steht ein Aluminiumkoffer mit Schminkutensilien. Bomboncito schnappt sich den Schminkkoffer und klettert über eine wacklige Leiter auf das Dach seines Elternhauses.

Schminken Schminken auf dem Dach – © Knut Hildebrandt

Dort warten schon Pinky und Chumpalin. Sie sitzen zwischen altem Bauholz und leeren Bierkästen. Schnell ist aus Brettern und Kisten ein Tisch improvisiert. Dann beginnen die drei sich im warmen Licht der Nachmittagssonne für den heutigen Auftritt zurecht zu machen.

Jeder der Clowns stellt einen anderen Charakter dar. Das erkennt man nicht nur an ihren verschiedenen Kostümen, sondern vor allem auch am Make-Up. „Ich bin Cara Blanca, eine Person der gehobenen Gesellschaft“, erklärt Bomboncito. „Pinky gibt den Vagabunden.“ Das ist eine eher traurige Figur. „Und Chumpalin ist der Tölpel.“

Spiegel Bomboncito beim Schminken – © Knut Hildebrandt

Der seriöse Bomboncito tritt mit weissem Gesicht und dezent geschminkten Lippen und Augen auf. Möchte er einmal etwas wilder wirken, malt er sich bunte Herzen auf die Wangen oder schminkt Kinn und Augenlider in Pastellfarben nach. Pinky und Chumpalin tragen dagegen schon etwas kräftigere Farben auf. Rote Riesenmünder und breite, schwarze Augenbrauen verleihen ihren Charakteren Leben.

Während der Woche arbeiten die drei Clowns in einem kleinen Wanderzirkus. An den Wochenenden treten sie auf privaten Feiern auf. „Heute spielen wir auf einem Kindergeburtstag“, sagt Bomboncito. Dabei zieht er mit einem feinen Pinsel seine Lippen nach. Pinky malt sich währenddessen einen Dreitagebart um die hängenden Mundwinkel. „Und danach geht es noch für eine Stunde auf den Zocalo“, fügt er hinzu.

Triola
Auf dem grossen Platz vor Oaxacas Kathedrale geht es ruhig zu, als die Clowns kurz nach acht aufkreuzen. Die drei richten sich erst einmal häuslich ein und packen aus. Aus ihrem riesigen Koffer ziehen sie Jonglierbälle, in allen Farben des Regenbogens schillernde Leuchtschlangen und eine überdimensionale Kamera. In der Zwischenzeit hat sich auch schon eine kleine Menschentraube um sie gebildet. Vor allem die Kinder warten gespannt, was nun passieren wird.
© Knut Hildebrandt

Heute haben es Bomboncito und seine Freunde auf Touristen abgesehen. Pinky zieht ein älteres Paar aus der Menge und fordert sie auf, Fotos von ihm zu machen. Sofort kommt Chumpalin angesprungen und fotografiert auch wie wild drauf los. Dann fummelt erumständlich an seiner Riesenkamera herum und zieht das Bild einer von Falten zerfurchten Greisin heraus. Unter dem Gelächter des Publikums überreicht er es den Ausländern. Verlegen stecken diese ihm einen Geldschein zu und wollen den Kreis der Zuschauer verlassen.

Aber so schnell kommen die beiden nicht davon. „Fünf Dollar bitte. Ich bekomme noch fünf Dollar für das Bild“, reklamiert Chumpalin lautstark. Während der korpulente Mann mit den Schultern zuckt und auf seine angeblich leeren Hosentaschen zeigt, zieht seine Frau einen weiteren Schein hervor und kauft die beiden frei.

Bahnmuseum Im Bahnmuseum – © Knut Hildebrandt

Jetzt ist endlich die Stunde der kleinen Zuschauer gekommen. Die Clowns werfen ihre Leuchtschlangen in die Menge. Wie wild springen alle Kinder in die Luft, um eine zu erhaschen. Nur ein kleines Mädchen geht leer aus. Doch wie zufällig zieht Bomboncito einen Armreif aus der Tasche, als er die Runde macht und den Obolus für die Vorstellung einsammelt. Vor Freude strahlend streift sich die Kleine diesen über und geht dann glücklich nach Hause.

Día de los Muertos

Punkt zwölf Uhr mittags bricht die Fiesta wie ein Gewittersturm über Xochimilco, einem kleinen Viertel im Norden Oaxacas, herein. Donnerschlag folgt auf Donnerschlag, als die Raketen am strahlend blauen Himmel mit lautem Knall explodieren. Doch Augustin Chávez kann das nicht erschrecken. „Wir sind das gewöhnt“, brüllt mir der Mitvierziger, der nicht weit entfernt von Xochimilcos Kirche eine kleine Pension betreibt, entgegen. „Das ist bei jedem Fest in Oaxaca so.“ Chávez ist gerade auf dem Weg zum Friedhof, um dort gemeinsam mit der Familie den „Dia de los Muertos“ zu feiern.

Am Grab Am Grab – © Knut Hildebrandt

Jedes Jahr wird Anfang November in Mexiko der „Tag der Toten“ begangen. Nach wochenlangen Vorbereitungen trifft sich die ganze Familie, um an den Gräbern der Vorfahren ein farbenfrohes Fest zu feiern. Nach altem mexikanischen Glauben kehren nämlich die Seelen der Verstorbenen in der Zeit zwischen 31. Oktober und zweitem November zu Besuch auf die Erde zurück. In Oaxaca beschränken sich die Feierlichkeiten allerdings nicht nur auf diese drei Tage, meint Chávez: „Bis Ende November wird jeden Montag auf einem der vier ältesten Friedhöfe der Stadt ein eigenes Totenfest gefeiert.“ Mittlerweile spielt eine Blaskapelle, seine Worte sind kaum noch zu verstehen. Dann plötzlich Stille. Der Pfarrer spricht mit monotoner Stimme. Kurze Zeit später wieder Explosionen, die Kapelle spielt weiter. Der „Día de los Muertos“ von Xochimilco hat begonnen.

Xochimilcos Friedhof liegt hinter einer hohen, mit bunten Glasscherben gespickten Mauer. Er besteht aus einer unübersichtlichen Ansammlung zum Teil windschiefer Grabsteine. Zwischen den Gräbern ist kaum mehr als ein Fuß breit Platz. Nur wenige, schmale Wege durchziehen den im Schachbrettmuster angelegten Gottesacker. Ich muss fast über die Grabstellen springen, um Augustin zu folgen. Den scheint das Chaos wenig zu stören. Beherzt steigt er auf und über die Gräber. Ziel ist die mit frischen Blumen und bunten Kerzen geschmückte Ruhestätte seiner Ahnen. Hier warten schon die Verwandten und lauschen andächtig der Predigt des Geistlichen.

Die Blaskapelle Die Blaskapelle – © Knut Hildebrandt

Nach der Messe kommt die Fiesta erst richtig in Schwung. Die Blaskapelle zieht von Grabstätte zu Grabstätte. Mit der Kapelle ziehen Jugendliche über den Friedhof. Sie tragen die martialisch anmutenden Masken der Luchadore, der mexikanischen Freistilringer. Die Jungen und Mädchen stecken in schwarzen Kostümen mit langen Schwänzen, welche über und über mit Schellen aus Messing behangen sind. Sie halten Peitschen in den Händen, mit denen sie wild um sich schlagen. Wie Derwische tanzen die jungen Leute zwischen, über und auf den Gräbern. Nach kürzester Zeit ist der ganze Friedhof in eine dichte Staubwolken gehüllt.

Durch die Masse der dicht um die Tänzer stehenden Schaulustigen drängen fliegende Händler und bieten Snacks an, Tacos mit feuerroter „Salchicha“ oder Tamales, scharf gewürzte Rollen aus Maisteig, die mit Käse, Fleisch und Gemüse aus Bananenblättern gegessen werden. Der Festschmaus kann beginnen! Augustin Chávez zieht Speisen und Getränke aus seinen großen Taschen. Auch eine Flasche Mezcal ist dabei. Denn: „Ein guter Tequila gehört zu jeder Fiesta!“ Chavéz schenkt ein und immer wieder nach.

Derwische Tanz der Derwische – © Knut Hildebrandt

Am frühen Abend ist das Festessen beendet. Augustin klappt die mitgebrachten Stühle zusammen und verstaut das Geschirr. „Höhepunkt des Festes“, sagt er, „wird das Konzert des Orquestra Primavera“. Das Konzert des „Frühlingsorchester“ soll um 18 Uhr beginnen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu der kleinen Bühne, die zwischen Kirche und Friedhof aufgebaut wurde. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit nehmen auf ihr die gut vierzig Musiker Platz und beginnen ihr einstündiges, immer wieder von begeistertem Applaus unterbrochenes Konzert.

Während vor der Kirche das halbe Viertel andächtig den süßlichen Klängen zwischen Klassik und Latinorhythmen lauscht, geht hinter der hohen Friedhofsmauer die Party weiter. Im Kerzenschein zieht die Blaskapelle immer noch kreuz und quer über den Friedhof. Wo immer sie zwischen den Gräbern Platz für ihre große Trommel findet, bleibt sie stehen und spielt ein, zwei Lieder. Die Derwische tanzen dazu wie in Trance und stoßen dabei wilde Schreie aus. Mit ihnen walzen einige Paare durch den Staub des Totenackers. Und alle trinken zusammen. Reichlich angetrunkene Männer schleppen in großen Pappkartons Bier heran und verteilen die Flaschen an die Tänzer und Musikanten. Und Mezcal wird getrunken, viel Mezcal. Aus Fünfliterkanistern schenkt man ihn ein. Sein beißender Geruch nach billigem Sprit vermischt sich langsam mit dem schweren Duft von Weihrauch, der noch über dem Friedhof hängt. Bald sind alle betrunken und nicht wenige liegen jetzt auch auf den Gräbern herum.

Umzug Umzug – © Knut Hildebrandt

Gegen halb acht geht das Fest zu Ende. Die Feiernden ziehen mit der Blaskapelle durch das großes Friedhofstor, welches für die Nacht wieder verschlossen wird. Vor der Kirche treffen sie auf eine abenteuerlich kostümierte, bizarre Masken tragende Schauspieltruppe. Zusammen tobt dann der ganze Haufen zu den Klängen der Blasmusik durch die Straßen Xochimilcos davon. Mit den letzten Gästen ist auch Augustin verschwunden. Zurück bleiben fünf, sechs Kinder, die vor den verschlossenen Toren des Kirchhofes fröhlich über das noch warme Pflaster springen und Seifenblasen auf die Reise durch die nächtlichen Straßen schicken. Es zieht wieder Ruhe ein in Xochimilco. Der „Día de los Muertos“ ist vorüber.