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Zwischen Dschungel und Karibik

Wo ich eigentlich hin wolle, fragt mich der Busfahrer. Als ich Backpackers Paradise antwortete, bremst er unerwartet. Da müsse ich hier aussteigen, sagt er und zeigt auf einem von der Strasse abzweigenden Weg. „Dort hinten am Mangobaum findest Du Nathalies Gasthaus“, ruft er mir nach.

Ortseingangsschild Ortseingangsschild von Sateneja – © Knut Hildebrandt

Zwei Minuten später stehe ich in einem kleinen Orangenhain. Im Schatten seiner Bäume grasen zwei Pferde zwischen Zelten und Bungalows. Aus einer der Hütten tritt eine junge Frau auf mich zu. Mit unverkennbar französischem Akzent stellt sie sich als Nathalie vor.

Nathalie wurde in Genf geboren. Nach Belize kam die Schweizerin während ihres Studiums. Schlangen galt ihr Interesse, von denen es im Land zahlreiche gibt. Im nahe Sarteneja gelegenen Shipstern Nature Reserve hat die angehende Biologin ihre Diplomarbeit geschrieben. Und dann ist Nathalie geblieben. Sarteneja wollte sie nicht mehr gehen lassen.

Nathalie Nathalie mit Vine Snake – © Knut Hildebrandt

Das kleine Fischerdorf liegt im hohen Norden Belizes, an der Bahía de Chetumal. Bis nach Mexiko ist es nur ein Katzensprung. Die Nähe zum grossen Nachbarn ist auch der Grund, warum viele hier Spanisch ihre Muttersprachen nennen. Sie stammen von aus Yucatan zugewanderten Mestizen ab.

Das Leben verläuft ruhig in Sarteneja. Am Tag sieht man kaum Menschen auf seinen sonnen-durchfluteten Strassen. Erst gegen Abend, wenn die Hitze des Tages langsam verfliegt, erwacht das Leben im Ort. Dann drehen die Jugendlichen mit dem Rad eine Runde durchs Dorf oder treffen sich zum Fussball auf dem Sportplatz.

Plausch © Knut Hildebrandt

Gut fünf Minuten vom Ort entfernt betreiben Nathalie und Edward das Backpackers Paradise. Bis zum Strand sind es von hier keine zehn Minuten. Und das Shipstern Reservat erreicht man mit dem Rad in weniger als einer halben Stunde. Aber auch im Gasthaus selbst lässt sich der Tag gut verbringen. Hängematten laden zum Verweilen unter Mango- und Orangenbäumen ein, deren Früchte essen mag, wer Lust dazu verspürt. Man muss nur die Hand nach ihnen auszustrecken und sie ernten. Wie im Paradies!

Das Backpackers ist jedoch mehr als ein Ort, an dem Großstadtflüchtlinge fernab der ausgetretenen Touristenpfade entspannen können. Von ihm gehen eine Reihe von Initiativen zur nachhaltigen Entwicklung der Region aus. So haben Nathalie und Edward auf seinem Gelände eine Baumschule gegründet. Die in ihr aufgezogenen Mahagoni-Setzlinge sollen auf Farmen um Sarteneja angepflanzt werden. Damit wollen die beiden nicht nur eine Lebensgrundlage für die Bauern schaffen, sondern auch die Holzversorgung der im Ort ansässigen Bootsbauer sichern. Denn der Bedarf an Mahagoni ist gross in Sarteneja, auf dessen Werften noch Fischerboote nach altem Vorbild aus Holz gebaut werden.

Edward Edward baut an seinem neuen Boot – © Knut Hildebrandt

Der traditionelle Bootsbau, für welchen der Ort berühmt ist, war Grund für Edward nach Sarteneja zu kommen. Nachdem er beim Untergang seines Segelbootes Ende 2007 alles verloren hatte, wollte der Franko-Kanadier hier ein neues Leben beginnen. „Bäume pflanzen, ein Boot aus Holz bauen und wieder segeln!“, hatte er sich vorgenommen. „Träume sinken nicht!“

In einem Schuppen neben der Hauptstrasse glänzt ein frisch lackierter Bootskörper. Neben ihm liegt ein noch unbearbeiteter Mast. Diesen müsse er in den nächsten Tagen montieren, erklärt Edward. Viel Zeit bliebe ihm er nicht mehr, fügt er hinzu. Denn der passionierte Segler möchte mit seinem neuen Boot bei der Osterregatta auf der Bahía de Chetumal an den Start gehen.

Boote Boote auf der Bahía de Chetumal – © Knut Hildebrandt

Über die Begeisterung für Edwards Segelleidenschaft darf ich nicht den eigentlichen Grund für meinen Abstecher nach Sarteneja vergessen. Seine Umgebung und die einzigartige Landschaft zwischen Dschungel und Meer wollte ich kennen lernen. Und wo könnte ich diese hautnaher erleben, als im Shipstern Nature Reserve?

Als ich gegen elf im Besucherzentrum eintreffe, ist es bei weitem zu spät um noch auf Tierbeobachtung zu gehen. Das ist das erste was mir Urs nach der Begrüssung erklärt. „Um Tiere zu sehen“, sagt er, „musst Du früh am Morgen kommen.“ Davon abgesehen sei niemand da, der mich durch den Park führen könne. Alle Ranger sind zur Zeit unterwegs. Allerdings, fügt der junge Schweizer nach kurzer Pause hinzu, könnte ich ihn auf einem Streifzug durch den Tropenwald begleiten.

Tropenwald

Blick vom Aussichtsturm – © Knut Hildebrandt

Fünf Minuten später brechen wir auf, Urs jetzt schwer bepackt mit Kamera, Feldstecher und Fernrohr. Dies sei sein Handwerkszeug, erklärt er. Der diplomierte Zoologe arbeitet an einer Dokumentation über das Shipstern. Diese soll der Akquise von Spenden zur Finanzierung des Reservates dienen.

Fast zwei Stunden sind wir unterwegs. Zwei Stunden, in denen Urs nicht müde wird, auf die stets wechselnde Vegetation hinzuweisen. „Dafür ist der Grundwasserspiegel verantwortlich“, erläutert er. Je höher dieser liegt, desto lichter wird der Wald. Wie um das zu bestätigen, stehen wir plötzlich am Rand einer feuchten, mit knorrigen Mangroven bewachsenen Savanne.

Das Beste kommt erst zum Schluss, heisst es so schön. Und so ist es auch bei dem Ausflug ins Shipstern Reservat. Kurz vor Rückkehr ins Besucherzentrum besteigen wir einen über 30 Meter hohen Beobachtungsturm. Von seiner weit über die Baumkronen hinaus ragenden Plattform bietet sich mir ein atemberaubenden Blick auf den schier unendlich erscheinenden Urwald zu meinen Füssen.

Zu Mittag wieder im Backpackers Paradise zu sein ist ein Fest. Denn Nathalie ist nicht nur Naturliebhaberin, sondern auch eine exzellente Köchin. Ihre Crepes sind berühmt in Sarteneja. Ausgehungert von der langen Wanderung bestelle ich gleich eine doppelte Portion.

Zwischen See und Feuerberg

„Fuego y Agua – Feuer und Wasser“ nennt sich der Ultramarathon, welcher Mitte Februar wieder hunderte Extremsportler auf die Isla de Ometepe gelockt hat. Die Härtesten unter ihnen absolvierten einen Hundert-Kilometerlauf. Dieser ließ sie nicht nur die komplette Insel einmal umrunden, sondern auch die Gipfel der Vulkane Concepcíon und Madera erklimmen.

Concepción Concepción – © Knut Hildebrandt

Doch auch die Teilnehmer des Marathon, welche nur eine Teilstrecke des Rundkurses absolvierten, wurden vor außergewöhnliche Herausforderungen gestellt. Der Lauf führte sie über sandige Strände und durch staubige Vulkanasche. Sie rannten durch Bananen- und Kakaoplantagen sowie die immer feuchten tropischen Nebelwälder an den Hängen der Vulkane. Und das alles bei Temperaturen, die einem das Blut in den Adern zum Kochen bringen.

Man muss aber nicht Marathonläufer sein und die Extreme lieben, um auf Ometepe ein paar interessante Tage zu verbringen. Die Insel im Lago de Nicaragua bietet für jeden Geschmack etwas. Badefreunde finden ausgedehnte, ruhige Strände aus dem schwarzen Sand des Vulkangesteins. Und am Playa Santo Domingo können sie sich sogar in der Karibik wähnen. Weißer Sand, gemütliche Strandbars und kleine Hotels laden dazu ein, hier ein paar Tage zu verweilen.

Nun bin ich weder Strandtyp noch Hochleistungssportler. Trotzdem hat es mich auf die Insel gezogen. Denn an und um die beiden Vulkane warten die verschiedensten Aktivitäten auf großstadtmüde Abenteurer. Die jeweils rund vierzig Kilometer lange Radtour um Concepcíon und Madera ist auch von Freizeitsportlern zu meistern. Ein früher Start und ausreichende Wasservorräte vorausgesetzt, ist die Rundfahrt jeweils gut an einem Tag zu schaffen.

Landstraße © Knut Hildebrandt

Aber auch die Vulkane selbst lohnen die Reise über den Lago de Nicaragua. Beide lassen sich innerhalb eines Tages besteigen. Vom Concepcíon ergeben sich bei günstigem Wetter dann spektakuläre Ausblicke über die Insel und den See.

Der Madera ist ein ideales Ziel für Ökotouristen. Ein Großteil der südöstlichen Inselhälfte, über welcher er sich erhebt, ist Naturreservat. Ausgedehnte Wanderwege laden dazu ein, dieses zu durchstreifen.

Direkt am Fuße des Madera existiert auch eine ideale Basis, um diesen Teil der Insel zu Fuß oder per Rad zu erkunden. Versteckt in einer Bananenplantage liegt hier die Finca Zopilote. Im Schatten riesiger Bäume bieten ein knappes Dutzend Holzhütten günstige Unterkunft. Hängematten laden zum Verweilen vor der Gemeinschaftsküche ein. Dort lernte ich auch Joe aus England und Amit aus Israel kennen.

Am Fuße des Madera Am Fuße des Madera – © Knut Hildebrandt

Schnell vergeht die Zeit beim Kaffee trinken und Schwatzen mit den beiden. Zu schnell für die wenigen Tage, die mir auf Ometepe noch verbleiben. Um nicht am Ende nur dieses kleine Paradies gesehen zu haben, beschließen wir gemeinsam den Madera zu besteigen.

Mit den ersten Strahlen der Morgensonne wollten wir starten. Jose Luis, unser Guide, wartet auch schon ungeduldig seit sechs vor der Küche auf uns. Doch bevor es losgehen kann gibt es noch tausend Dinge zu erledigen. Der Morgenkaffee muss gebrüht und geschlürft, die Wasserflasche noch schnell aufgefüllt werden. Als wir endlich aufbrechen, steht die Sonne schon weit über dem Horizont.

Die erste Stunde Fußmarsch führt uns durch Maisfelder und Bananenplantagen. Sie ist leider nicht so angenehm, wie erhofft. Wegen der sich schnell aufbauenden Hitze kommen wir ganz schön ins Schwitzen. Besser wird es, als der Pfad am Fuß des Vulkans im Wald verschwindet. Im Schatten der riesigen Bäume wandert es sich völlig entspannt die leichte Steigung hinan.

Im Nebelwald Im Nebelwald – © Knut Hildebrandt

Hier im Wald sind wir von den merkwürdigsten Geräuschen umgeben. Fast beängstigend schlägt uns das Geschrei von Brüllaffen entgegen. Hoch über uns hangelt sich eine Gruppe durch das grüne Blätterdach. Um uns herum zirpen tausende Grillen gegen das Gezeter der Affen an. Unterstützt werden sie durch den exotischen Gesang mir unbekannter Vögel.

Plötzlich stoppt Jose Luis vor einem Baum. Mit seiner Machete zeigt er auf einen dünnen, giftgrünen Zweig, welcher sich langsam unseren Blicken zu entziehen versucht. Das was Jose im Vorbeigehen zwischen den Blättern des Baums erspäht hatte ist kein Ast. Es ist eine tödlich giftige Schlange.

Nach gut einer Stunden Wandern stehen wir vor einer dichten Nebelwand. Als wir diese durchschreiten, finden wir uns in einem Märchenwald wieder. Der Blick reicht keine zehn Meter weit. Aus den Nebelschwaden winken mir urige Fabelwesen entgegen. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich in ihnen Bäume. In feuchte Pelze aus Moos gehüllt tragen sie lange, grüne Bärte aus Flechten.

Am Kratersee Am Kratersee – © Knut Hildebrandt

Mit einem Mal ist auch kein Geräusch mehr zu hören. Affen, Vögel und Zikaden sind verstummt. Nur ein unheimliches Pfeifen ist zu vernehmen, wenn der Wind leise durch die Baumwipfel streift. Schüttelt er diese zu sehr, regnen kalte Schauer auf uns herab.

Schon bald ähnelt der Weg einem schlammigen Flussbett. Wurzeln und Geröll sind so glatt, dass wir kaum mehr voran kommen. Jose Luis weicht deshalb immer wieder in den Wald aus. Doch auch zwischen den Bäumen ist das Laufen nicht einfach. Auf dem mit Wasser voll gesogenem Waldboden, versinken wir bis über die Knöchel im Morast.

Gut vier Stunden nach dem Abmarsch von der Finca Zopilote ist es geschafft. Wir stehen am Ufer eines sich im Krater verbergenden See. Anfangs kann man diesen nur erahnen. Eine dichte Nebelwand entzieht ihn dem Blick. Doch während wir uns zum Picknick niederlassen und die mitgebrachten Leckereien auspacken, hebt sich langsam der Nebel. Nach und nach gibt er den Blick auf den See und die gegenüberliegende Kraterwand frei. Bin ich froh diesen Anblick in Ruhe genießen zu können und nicht, wie die Marathonläufer, sofort zur Besteigung des Concepción weiter hetzen zu müssen.