Der Geruch von Pferdemist, Spiritus und verbranntem Holz schlägt uns entgegen. Ein Windstoss weht feine Asche über den Rasen. Aus dem kleinen Fabrikgebäude auf der anderen Seite des Hofes ist das monotone Geräusch von auf Stein mahlendem Stein zu hören. In einer mit Feldsteinen ausgekleideten Grube neben dem Eingang des roten Backsteinbaus türmen sich russgeschwärzte Magueypflanzen.
Begrüßung in Matatlan – © Knut HildebrandtWir sind in Matatlan, der Hauptstadt des Mezcal, wie sich der Ort im Süden Mexikos gerne selbst nennt. Hier hat Don Lucio vor fünfzig Jahren seine Palenque “El Famoso“ – “Der Berühmte“ gegründet. Weltberühmt ist die kleine Mezcalfabrik zwar noch nicht. Jedoch verkauft das Familienunternehmen seine Cremas und Mezcals nicht nur im eigenen Laden an der Hauptstrasse Matatlans. Don Lucio hat Geschäfte in Oaxaca, Cancun und weiteren Touristenzentren des Landes.
Langsam gewöhnen sich unsere Augen an das Dämmerlicht in der Fabrikhalle. Als erstes fällt der magere Gaul auf. Stoisch trottet der im Kreis und zieht einen Mühlstein hinter sich her. In kurzem Abstand folgt ein Arbeiter dem Pferd. Der Mann schaufelt die vom Stein zerriebenen Magueystücke in einen hohen Holzbottich.
Zerkleinern der Agavenherzen – © Knut HildebrandtNeben dem Bottich steht Juan Hernandez Santiago, Schwiegersohn des Firmengründers und Produktionsleiter der Fabrik. Mit einer langen Stange rührt er prüfend den braunen Inhalt des Trogs um. Nachdem Hernandez sich kurz die Hände an seiner Hose abgewischt hat, begrüsst uns er mit kräftigem Händedruck. Dann beginnt er die auf traditionelle Art und Weise erfolgende Herstellung des Mezcals zu erklären.
Als erstes werden die Agaven zerkleinert und in dem Ofen vor der Werkhalle gekocht. Danach zerquetscht man sie mit dem schweren Mühlstein. Der dabei entstehende Brei wird im Anschluss in den grossen Holzbottichen vergoren. Nach der Fermentation wandert der nun alkoholhaltige Sud in den hinteren Teil der Halle zur Distillation.
Den jungen Mezcal lässt man nach der Distillation für mindestens zwei Monate altern, erzählt Hernandez. Er führt uns über den Hof zu einem Lagerraum. Dort liegen auf langen Regalen dutzende Eichenfässer. In diesen reift der Mezcal bis zu fünf Jahre lang. Dabei nimmt er die typische goldgelbe Färbung und sein leicht rauchiges Aroma an.
Normalerweise endet an dieser Stelle der Rundgang durch Don Lucios Palenque. Jedoch möchte Hernandez es sich nicht nehmen lassen, uns auch die Magueyplantagen der Firma zu zeigen. Also quetschen wir uns in seinen zwanzig Jahre alten VW Käfer und verlassen Matatlan in Richtung Oaxaca.
In sanften Kurven schlängelt sich die Landstrasse durch die Valles Centrales. Am Horizont ragen karge Berge in den blauen Himmel. Wie ein großer, bunter Flickenteppich liegt die weite, trockene Ebene vor uns. In der Ferne leuchten pink und lila blühende Bäume. Neben der Strasse stehen mannshohe Kakteen. Das fahle Braun vor langer Zeit abgeernteter Felder wechselt sich mit dem saftigen Grün ausgedehnter Magueypflanzungen ab.
Magueyfeld – © Knut HildebrandtNach knapp zehn Minuten Fahrt erreichen wir einen riesigen Acker. Wie in Reih und Glied zum Appell angetretene Soldaten stehen auf ihm hunderte Magueypflanzen. Zwischen den leicht bläulich schimmernden Agaven liegen mehrere Meter lange, vertrocknete Blütenstände im Staub.
“Das Feld wird bald abgeerntet,“ erzählt Hernandez. Denn gut ein Jahr nach der Blüte ist der Maguey reif für die Verarbeitung. Dann kommen am frühen Morgen, wenn es noch angenehm kühl auf den Feldern ist, die Arbeiter. Mit langen Macheten schlagen sie die Blätter der Magueypfanzen ab und ernten die an riesige Annas erinnernden Agavenherzen.
Ausschenken der Mezcal-Proben – © Knut HildebrandtAm Rande des Magueyfeldes weiht uns Juan Hernandez dann auch in das Geheimnis des Mezcalwurms ein. “Die Tiere leben in den Wurzeln der Pflanzen“, erklärt er. Einmal im Jahr, in den Sommermonaten August und September, werden die Raupen eingesammelt. In den Mezcal gibt man sie, um dessen Aroma eine besondere Note zu geben.
Von den Magueyplantagen geht es weiter nach Mitla. Dort hat Don Lucio im letzten Jahr eine zweite Mezcalfabrik errichtet. Vor dem Restaurant der neuen Palenque steht ein silberner Reisebus. Eine Gruppe holländischer Touristen verlässt gerade die strahlend weisse Fabrikhalle. Während die Holländer in ihren Bus steigen und weiter zu den Ruinen von Mitla fahren, kehren wir in die Gaststätte ein. Hier wollen wir in aller Ruhe die Mezcals aus Don Lucios Produktion verkosten.