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Von LA nach Las Vegas

Ritt durch die Wüste

Meine letzten Tage in den Staaten waren die reinste Tour de Force. In knapp drei Tagen habe ich so viel gesehen und so viel erlebt, daß mir am Ende regelrecht der Kopf qualmte. Am Dienstag Morgen sind wir aus Los Angeles abgefahren. Unser Tagesziel war das Death Valley. Andreas meinte, es seien gut vier Stunden bis dahin. Gebraucht haben wir den ganzen Tag für den Trip. Das lag vor allem an den viele kleinen Programmpunkten, die er noch eingebaut hat.

Bildstrecke Randsburg Bildserie Randsburg – © Knut Hildebrandt

Unseren ersten Stopp machten wir in Randsburg. Wenn mir schon Weaverville und French Gulch gut gefallen hatten, so begeisterte mich dieses kleine Städtchen erst recht. Es glich einem wahren Ghost Town. Früher war Randsburg mal eine Bergbausiedlung. Jetzt verfallen seine Häuser und von ihren Fassaden blättert langsam die Farbe ab. Überall stehen alte Autos, Maschinen und auch der eine oder andere Leiterwagen am Straßenrand. Vor einem Haus saßen zwei einsame Typen und unterhielten sich angeregt. Während dessen tönte aus ihrem Radio America mit „A Horse with no Name“.

Jedoch scheint Randsburg nur unter der Woche das verschlafene Nest zu sein, das wir vorfanden. Am Wochenende bevölkert es sich mit Tagestouristen. Einer der beiden berichtete von Bikertreffen, die hier regelmäßig statt finden. Auch scheint das eine oder andere Filmteam seinen Weg in den Ort zu finden. Und somit erwacht Randsburg als Touristenmagnet zu neuem Leben. Das erklärte dann auch die vielen Antiquitätenläden entlang der Hauptstraße.

Während unseres ersten Tages in der Wüste war der Himmel leicht bedeckt. Die Sonne brannte nicht gnadenlos auf uns nieder, wie ich es in Berichten über das Death Valley gelesen hatte. Ganz im Gegenteil. Es war zwar angenehm warm, aber bei weitem nicht heiß. Davon abgesehen hatten wir ein wunderbares Licht, welches mich regelrecht zum Fotografieren aufforderte. Somit wurde unsere Fahrt durch die Wüste zur einmaligen Fototour.

Bildstrecke Death Valley Bildserie Death Valley – © Knut Hildebrandt

Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir im Tal des Todes an. Bevor wir uns aber einen Schlafplatz suchen konnten, fuhr Andreas mit mir noch zu den Mesquite Flat Sand Dunes. Wie seinerzeit die Protagonisten der Star Wars Filme wanderten wir durch die sich sanft den Bergen entgegen schwingenden Dünen. Als die Sonne langsam hinter den Bergipfeln verschwand tauchte sie Himmel und Wolken in leuchtendes Rot. Jetzt wurde es auch langsam Zeit einen Ort zu finden, an dem wir unsere Zelte aufschlagen konnten.

Zum Abendessen kochten wir uns im Grocery Store von Randsburg gekaufte Bohnen. Wir stellten einfach unsere Dosen ins Feuer und aßen dann auch gleich aus diesen. Das erinnerte mich irgendwie an meine Vorstellungen vom Wilden Westen aus fernen Kindertagen. Fehlten eigentlich nur noch das Pferd und die Zigarette um das Werbeidyll einer großen Zigarettenmarke rund zu machen. Aber soweit gingen wir dann doch nicht. Denn zum Glück rauchen wir beide nicht.

Am nächsten Morgen begrüßte uns die Sonne am strahlend blauen Himmel. Beim schnell hinein geschaufelten Frühstück war es noch ziemlich frisch. Doch das sollte sich schnell ändern. Schon bald stand die Sonne hoch genug am Himmel, daß man ordentlich in Schwitzen kam. Deshalb zogen wir es dann auch vor, uns ein schattiges Plätzchen für unseren morgentlichen Kaffee zu suchen. Der Kaffee den wir eine knappe Stunde später schlürften, war der teuerste meiner ganzen Reise. Aber das hatte Andreas vorher angekündigt. Denn er fuhr mit mir ins Furnace Creek Resort, einer in den Dreißiger Jahren errichteten Nobelherberge mitten im Death Valley.

Bildstrecke Red Rock Canyon Bildserie Red Rock Canyon – © Knut Hildebrandt

Als sich Anfang des letzten Jahrhunderts der Bergbau im Tal nicht mehr so recht lohnte, kamen die Betreiber der Minen auf die grandiose Idee dieses als Touristenattraktion zu vermarkten. Man baute nicht nur das Luxushotel, sondern erfand auch gleich noch diverse Sehenswürdigkeiten. Einer der Väter des späteren Nationalparks hat sich dabei sogar mit Namen verewigt. Und spätestens seit Michelangelo Antonionis gleichnamigen Film dürfte der Zabriskie Point auch in Deutschland ein Begriff sein.

Von dem Aussichtspunkt in mitten der an sanft geschwungenen Dünen erinnernden Felsformation am Zabriskie Point ging es weiter zum tiefsten Punkt des Death Valley. Dieser befindet sich 86 Meter unter dem Meeresspiegel und trägt den bezeichnenden Namen Badwater Basin. Schlecht oder gar verunreinigt ist das Wasser hier nicht. Ungenießbar ist es aber trotzdem. Zumindest für den Menschen und dessen tierische Begleiter. In der Talsenke erstreckt sich nämlich ein Salzsee, der zum Großteil trocken lag, als wir kamen. Wie schon am Vorabend in den Dünen zog ich meine Schuhe aus und spazierte über die dünne, leicht prickelnde Salzschicht, bis diese allmählich in den Wüstensand überging.

Mittlerweile war es auch schon empfindlich heiß geworden und wir begannen langsam im Auto zu kochen. Es wurde Zeit dem Death Valley den Rücken zu kehren und uns auf den Weg zu unserem Tagesziel, Las Vegas, zu machen.

On the Strip

In Las Vegas kamen wir genau zum Einbruch der Dunkelheit an. Andreas nutzte die Gelegenheit und drehte noch eine kleine Runde durch die Stadt, um mir Downtown das alte Vergnügungsviertel zu zeigen. Dann ging es zum Luxor, unserem Hotel auf dem Strip. Andreas hatte darauf bestanden, daß wir hier eine Unterkunft nehmen. Und das war auch gut so. Denn der Strip ist das, was man landläufig unter Las Vegas versteht. Hier stehen der Eiffelturm und das Colloseum und natürlich auch das Luxor. Unser Hotel glich einer überdimensionialen Pyramide. Nah deren Spitze bezogen wir im 27en Stock Quartier. Von unserem Zimmer aus konnte wir auf die Skyline New Yorks blickten, welche sich hinter einer Disney-Kopie von Schloß Neuschwanstein den Strip entlang zog.

Bildstrecke The Strip Bildserie The Strip – © Knut Hildebrandt

Vom Luxor aus begannen wir Las Vegas zu erkunden. Ich weiß nicht wie viele Kilometer wir an diesem Abend gelaufen sind. Als wir wieder im Hotel ankamen, waren mehr als vier Stunden vergangen. Mir taten mittlerweile Augen und Ohren weh von dem viele bunten Geflimmer und der allgegenwärtigen Geräschkulisse. Auf unserer Wanderung den Strip hinab und zurück sind wir durch die Gassen Paris‘ gewandelt, haben den Gondoliere in Venedig bei der Arbeit zugeschaut und einen Vulkanausbruch miterleben dürfen. Und zwischendurch hieß es sich immer wieder der vielen Bauernfänger erwehren, die einem große Gewinne oder heiße Mädels versprachen. Mensch war ich froh, dem ganzen Trubel wieder entkommen zu sein und mit einem Bier auf meinem kingsize Bett auszuruhen.

Ein Samstag in LA

Los Angeles ist riesig und hier herum zu kommen ist alles andere als einfach Wir sind heute fast den ganzen Tag über autobahnähnliche Straßen gebraust. Von einem Stadtteil zum anderen fährt man auf dem Free- oder Highway. Alles andere dauert einfach zu lange. Aber auch normale Stadtstraßen sind in LA nicht selten sechsspurig. In Amerika ist eben alles größer und das trifft vor allem auch auf die Autos zu. Aber hatte ich das nicht schon vorher gewußt und wollte es nur nicht so recht wahr haben? Für die Amis scheint dies allerdings ganz normal zu sein. Sie sehen in uns die mit dem komischen Lebensstil. Eine Freundin hat die Sache mal ganz nett auf den Punkt gebracht. In einem alten James-Bond-Film fuhr 007 mit seinem Sportwagen bis in die Wohnung. Die Leute hier hielten das für einen Witz. Das Auto war viel zu klein, um wirklich ernst genommen zu werden.

Bildstrecke Los Angeles Bildserie Los Angeles – © Knut Hildebrandt

Heute war ich bei den Schönen und Reichen. Zumindest reich muß sein, wer in Laguna Beach lebt. Die zwei am Wood Cove zum Verkauf stehenden Häuser waren alles andere als billig. Ein kurzer Blick ins Internet ergab: das eine sollte nur knappe sieben Millionen kosten und das zweite ein paar Schritt die Ocean Way weiter dann noch mal gut eine halbe Million mehr. Auch wenn es sich dabei nur um Dollar und nicht um Euro handelt, ist das doch etwas zu viel für mein Reisebudget. Schade eigentlich, denn die kleine Bucht war ganz nett. Aber wenigstens konnte ich dort ein Weilchen auf dem semi-privaten Strand in der Sonne liegen, während Andreas und Michael in der Bucht tauchen gingen. Da die beiden dafür gut eine Stunde veranschlagt hatten, fand sich auch noch genug Zeit für ein paar Minuten selbst in den Pazifik zu springen. Bei siebzehn, achtzehn Grad war das sogar ganz angenehm und wärmer als so mancher Sprung in die heimische Ostsee.

Nach dem Badespaß ging es weiter auf dem Highway 1 die Küste hinauf. Ziel war die Balboa Peninsula, wo wir auf Rollerblades umgestiegen sind. Auf diesen schossen wir dann einmal die Beachfront hinauf und wieder hinunter. Entlang der Strandpromenade drängte sich, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, Häuschen an Häuschen. Diese wirkten bei weitem nicht so nobel wie in Laguna Beach. Dafür konnte man einige von ihnen sogar als Urlaubsdomizil mieten. Und so kamen wir an so manchem Vorgarten vorbei, in dem es sich Leute mit ’nem Drink in der Hand gut gehen ließen.

Bildstrecke Beaches Bildserie Beaches – © Knut Hildebrandt

Am Abend sind wir noch einmal ausgeflogen. Im Griffith Observatory war Tag der offenen Tür. Ich hatte den Endruck die halbe Stadt hatte davon erfahren. Wir kurvten jedenfalls ewig durch die Gegend, um einen Parkplatz zu finden. Erst ging es auf der einen Seite den Berg hinauf und dann auf der anderen wieder hinunter. Am Ende durften wir ihn wieder ein ganzes Stück nach oben laufen. Nach dem schon recht sportlichen Tag hatte ich damit nicht gerechnet.

Die Mühe hat sich aber gelohnt. Von hier oben konnte man über die ganze Stadt sehen. Wie ein unendliches Lichterrmeer lag uns Los Angeles zu Füßen. Und über allem thronten die Kuppeln des Observatoriums. Aber auch der Blick in das erst vor kurzen für knapp 100 Millionen Dollar sanierte Gebäude war beeindruckend. In prächtigen Sälen bekam man ein Einführung in die Astronomie, konnte auf riesigen Fotos ferne Galaxien entkunden oder beim Blick durchs Teleskop Sonne und Mond betrachten. Zum Schluß gab uns Leonard Nimoy, vielen eher als Mr. Spok vom Raumschiff Enterprise bekannt, noch eine virtuelle Tour durch den Komplex. Gegen zehn mußten wir unsere Entdeckungsreise leider beenden. Das Observatorium schloß seine Pforten.

Bildstrecke Observatory Bildserie Observatory – © Knut Hildebrandt

Auch waren wir mittlerweile hungrig geworden. Also ging es weiter in ein Industriegebiet, wo eine lokale Brauerei ihre Bierhalle betrieb. Wie die Trinkfreudigen ohne Auto hierher und vor allem hinterher wieder weg kommen sollten, ist mir ein Rätsel. Zu stören schien das aber niemanden. Denn in dem riesigen Saal war Oktoberfeststimmung. Laut Lieder singend tranken sich die Leute durch das umfangreiche Biersortiment der Brauerei. Und das konnte sich sehen lassen. Bei Berliner Weisse angefangen, über Bayerische Weizenbiere bis hin zu irischen Stouts schien es alles zu geben. Ich hielt mich aber an die mir so lieb gewordenen IPA’s. Werde diese nach meiner Abreise aus den Staaten sicher vermissen.

Sacramento Trail

Wow, was für ein Tag. Ich bin fast versucht zu behaupten, er sei der schönste meiner bisherigen Reise. Das würde allerdings den vielen anderen tollen Erlebnissen und Begegnungen, die ich bisher hatte, nicht gerecht werden. Begeistert bin ich aber trotzdem.

Sacramento Trail - 1 Keswic Dam – © Knut Hildebrandt

Im zweiten Anlauf haben wir es endlich geschafft eines von Eds zwei Räder in Gang zu bekommen. Da uns dies mit seinem sehr guten Mountainbike auf die Schnelle nicht gelingen wollte, mußte ich nun mit einem Damenrad Vorlieb nehmen, das er für kürzere Strecken in der Stadt benutzt. Zum Glück hatte es eine Gangschaltung, bei der auch alle 21 Gänge funktionierten. Das sollte sich später als lebensrettend erweisen.

Der Plan war bis zum Shasta Staudamm den Sacramento hinauf zu radeln und dann zurück bis zur Sundial Bridge in Redding. Von der Brücke aus sollten es etwas mehr als 17 Meilen zum Damm sein, was gute fünfzig Kilometer für den ganzen Trip ergeben würde. Allerdings wolle ich nicht von der Brücke starten, sondern von Eds Haus erst einmal nach Old Shasta, einem alten Westernstädchen, radeln.

Sacramento Trail - 2 Radweg entlang des Sacramento – © Knut Hildebrandt

Wie immer sind wir wieder einmal viel zu spät in die Gänge gekommen. Als ich dann endlich im Sattel saß war es schon gut elf Uhr. Zum Glück lag Eds Haus schon etwas außerhalb des Zentrums. Ich mußte also nur fünf Blocks und über einen kleinen Hügel strampeln, um auf den Highway 299 zu treffen, welcher auf seinem Weg zur Küste als erstes durch Old Shasta kommt.

Bis dort waren es dann noch drei Meilen, die sich in der Mittagshitze ganz schön hin zogen. Highway 299 muß nämlich auf seinem Weg zum Pazifik eine Bergkette überqueren und klettert dabei von gut 500 Fuß auf mehr als 3.000. Zum Glück liegt Old Shasta nicht ganz so hoch. Jedoch gab mir der Anstieg dahin schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das, was mich später noch auf meinem Damenrad erwarten würde.

Sacramento Trail - 3 Sacramento River – © Knut Hildebrandt

Nachdem ich ein paar Bilder der noch stehenden Gebäude in dem seit langem verlassenen Ortes geschossen hatte, begann der eigentliche Trip. Von Old Shasta führte eine Postkutschenroute den Mittle Creek entlang zum Sacramento. Eine gewisse Berühmtheit erlangte diese, als die Ruggles-Brüder im Mai 1892 auf ihr eine Kutsche überfielen und dabei 5.000 Dollar in Gold erbeuteten. Heutzutage geht es hier friedlicher zu. Die ehemalige Landstraße wurde für den Autoverkehr gesperrt und in eine Radwanderroute umgewandelt. Auf dieser schoß ich hoch über dem trockenen Flußbett dem Sacramento entgegen.

Nach nicht einmal zwanzig Minuten erreichte ich den Radweg an seinem Westufer. Auch dieser war in hervorragenden Zustand. Da hatten die Amis einen tollen Job gemacht. In und um Redding gibt es ein gut ausgebautes Routennetz für Freizeitaktivitäten. Alle dazu gehörenden Wege hatte man für den Autoverkehr gesperrt und einige sogar asphaltiert. Letztere eigneten sich hervorragend fürs Radwandern. Und das Beste: in den Fahrradläden der Stadt, sowie im Museumsshop des Turtle Bay Parks gibt es kostenlos diverse Karten und Wanderführer, die einem das Erkunden der Umgebung erleichtern.

Sacramento Trail - 4 Shasta Dam – © Knut Hildebrandt

Auf dem Sacramento River Rail Trail, der wie der Name vermuten läßt einer alten Bahnlinie folgt, fuhr ich Richtung Norden. Auch auf ihm kam ich schnell voran. Im unteren Bereich schlängelte sich der Weg durch eine trockene Savannenlandschaft und wies bis zum Keswic Dam keine nennenswerte Steigung auf.

Als ich den kleinen Staudamm schon nach kurzer Fahrt erreichte, wurde ich übermütig. Ich entschloß mich nicht auf dem ausgebauten Weg zu bleiben. Statt dessen nahm ich einen unbefestigten Pfad entlang des Ufers. Dieser sah auf der Karte wie eine Abkürzung aus. Und selbst wenn er das nicht war, müßte ich nicht den Hügel hinauf strampeln, den sich der Hauptweg hinter dem Damm hinan schlängelte. Was ich dabei nicht bedachte: ich war nicht mit einem Mountainbike unterwegs. Das etwas schwerfälligen und nicht ganz leichte Damenrad war wenig für den Offroad-Einsatz geeignet. Deshalb hat mich diese Abkürzung einiges an Schweiß und zusätzlicher Fahrzeit gekostet. Ich durfte nämlich immer wieder absteigen und am Ende das Rad dann doch noch eine kleine Anhöhe hinauf schieben.

Sacramento Trail - 5 © Knut Hildebrandt

Damit war dann aber auch das gröbste geschafft. Vorerst zumindest. Ganz entspannt radelte ich ich in sanft geschwungenen Kurven eine weitere Steigung hinauf. Dann ging es fast nur noch bergab. Auch folgte der Weg nun ziemlich genau dem Flußlauf. Das war allerdings nicht der einzige Unterschied zum ersten Teil der Radroute. Zwischen den beiden Staudämmen wirkte alles viel grüner. Und immer wieder boten sich tolle Blicke über den Sacramento.

Kurz vor drei und nach gut vier Stunden auf dem Rad tauchte endlich der Shasta Staudamm auf. Mehr als 180 Meter erhebt sich die Staumauer über den Fluß. Und diese 180 Meter hieß es jetzt hinauf strampeln, denn ich wollte über den Damm und und am westlichen Ufers des Sacramento zurück in die Stadt fahren.

Sacramento Trail - 6 Shasta Lake – © Knut Hildebrandt

Was ich mir da vorgenommen hatte wurde mir klar, als ich die ersten zwei Serpentinen der kleinen Straße zur Krone der Talsperre hinter mir hatte. Die Sonne war brütend heiß. Und selbst im kleinsten Gang hatte ich ziemlich mit der Steigung zu kämpfen. Wie schön, daß ich da schon ein Viertel des Weges hinauf geschafft hatte.

Als ich endlich an der Zufahrt zum Damm ankam, war ich schweißgebadet. Noch völlig außer Atem fragte ich den dort Wache haltenden Polizisten nach Rückfahrmöglichkeiten. Er empfahl mir die gleiche Route zu nehmen, die ich gekommen war. Die Wege auf der anderen Flußseite seien alle nicht ausgebaut, erklärte er. Was das hieß, hatte ich ja schon auf dem kurzen Stück hinter dem Keswic Damm erfahren. Sollte ich mir das wirklich noch einmal antun?

Sacramento Trail - 8 Shasta Dam – © Knut Hildebrandt

Die Entscheidung darüber wollte ich mir bis nach der Überquerung des Damms aufsparen. Auf der anderen Seite gab es ein Besucherzentrum und ich hoffte in diesem noch einige erhellende Informationen zu bekommen. Doch so lange mußte ich gar nicht warten. In der Mitte des Damms fiel mir auf, daß der vordere Reifen Luft verlor. Ich schaffte es gerade mal bis zum Visitors Center, bevor er völlig platt war.

Die Sache hatte aber auch ihre gute Seite. Nun brauchte ich mir keine Gedanken mehr über die Rückfahrt zu machen. Ich rief Ed an, der mich abholen kam. Und zur Belohnung für die Strapazen hielt er noch an einer Stelle, von der sich ein spektakulärer Blick über Damm und Stausee hinweg auf den dahinter in den Himmel ragenden Mount Shasta bot. Diesen hätte ich ohne die Panne sicher verpaßt.

In the Wild West

Stagecoach Wild West – Historische Postkutsche in Redding – © Knut Hildebrandt

Vor ein paar Tagen bin ich im Wilden Westen angekommen. Oder sollte ich lieber wie Ed vom Goldenen Westen sprechen. Denn hier bin ich im Land der Goldgräber. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zog es während des großen Goldrauschs Tausende nach Nordkalifornien. Hier versuchten sie ihr Glück zu machen. In der Gegend um Redding wird man aller Orten mit diesem Teil der amerikanischen Geschichte konfrontiert.

So zum Beispiel in Old Shasta. Der kleine Ort liegt an der alten Postkutschenroute Richtung Westen und war lange Zeit Verwaltungszentrum von Shasta County. Als nur wenige Kilometer entfernt die Eisenbahn durch Redding und dort ein Bahnhof gebaut wurden, zogen die Händler, das Hotel und viele Bewohner hinunter ins Tal. Nur wenige blieben. Heute erinnern nur noch ein kleines Museum, der General Store und eine alte Schmiede an die glorreichen Zeiten. Als vor enigen Jahren die langsam verfallenden Fassaden einzustürzen drohten, sicherte man diese und baute den hölzernen Gehweg – Boardwalk – wieder auf. Old Shasta gleicht jetzt ein großes Freiluftmuseum.

Bildstrecke Old Shasta Bildserie Old Shasta – © Knut Hildebrandt

Ein anderes Schicksal ereilte Weaverville. Die Sägemühle am Ortseingang rettete das kleine Städtchen vor dem Verfall. In den Läden entlang der Hauptstraße decken sich allerdings schon lange nicht mehr Goldgräber und Holzfäller mit Proviant ein. In diese sind Cafés und kleine Galerien eingezogen. Nicht wenige der auf Highway 299 Richtung Westen reisenden machen in Weaverville Halt. Und viele nehmen sich dann auch etwas Zeit für einen Besuch des Bergbaumuseums oder des chinesischen Tempels. Wer darüber die Weiterfahrt vergessen hat, kann im Hotel gegenüber dem Courthouse eine Nacht wie in lang vergangenen Westentagen verbringen.

Abgesehen vom Goldrausch und den sich um ihn rankenden Geschichten entsprechen Redding und die angrenzenden Countys auch sonst vielen Klischees vom weiten Westen. Die Stadt liegt in einem ausgedehnten Tal und ist durch eine Bergkette vom Pazifik getrennt. Hier scheint man Platz zu haben und nutzt diesen auch. Fast jede Straße in der Hunderttausend-Einwohner-Stadt ist so breit wie in Berlin die großen Boulevards. Auf bis zu drei Spuren schieben sich in einem Fort Autos durch die Stadt. Und auf ein Auto ist man hier angewiesen. Nur um ein Bier zu kaufen kann man locker mal ein bis zwei Kilometer unterwegs sein. Und Alice, Eds Freundin, wohnt knappe zehn Meilen von der Innenstadt entfernt. Für hiesige Verhältnisse ist das gleich um die Ecke.

Bildstrecke Weaverville Bildserie Weaverville – © Knut Hildebrandt

An dieser Stelle muß ich meine liebenswürdigen Gastgeber in Redding kurz vorstellen. Ed ist der Vater eines amerikanischen Freundes aus Berlin. Ed und seine Lebenspartnerin Alice haben mich in ihr Haus aufgenommen, als sei ich ihr eigener Sohn. Nur ihnen habe ich zu verdanken, daß ich hier so viel sehe und erlebe. Die beiden sind mit mir die vierzig Meilen bis Weaverville gefahren. Und Ed kutschiert mich fast jeden Tag zu einer weiteren Sehenswürdigkeit in und um Redding.

So zeigte er mir zum Beispiel die Sundial Bridge, eine futuristisch aussehende Fußgängerbrücke über den Sacramento. Und er lies es sich auch nicht nehmen mir dann noch eine Tour durch das exzellente Museum im angrenzenden Turtle Bay Exploration Park zu geben. Dort sahen wir unter anderem eine sehr schöne Ausstellung über das Sündenbabel „Wilder Westen“, die auch Ed noch nicht kannte. Einen ganzen Saal hatte man in Saloons, Spielhöllen und Bordelle verwandelt. Videos und Schaukästen berichteten eindrucksvoll davon, wie es damals zuging im heute recht puritanischen Amerika.

Bildstrecke French Gulch Bildserie French Gulch – © Knut Hildebrandt

Das war aber nicht die einzige Entdeckung für Ed und mich. In French Gulch, einem weiteren Städtchen in dem in alten Zeiten die Postkutschen Halt machten, wurden wir in eine Bar gewunken. Der Pub glich einem Museum. Sein Besitzer hatte hunderte Exponate aus der Geschichte des Ortes zusammen getragen. An den Wänden hingen Dutzende Gewehre und Pistolen, unter ihnen viele alte Winchester und Colts. So etwas hatte selbst Ed noch nicht gesehen. Auch der Barkeeper konnte als Teil der Ausstellung durchgehen. Der Typ hatte früher als Holzfäller gearbeitet und konnte mit unzähligen Geschichten aufwarten. Viele drehten sich die um zur Schau gestellten Waffen. Das Erstaunlichste war aber, weder er noch sein Kumpel wollte glauben, daß ich keine Waffen besitze noch Leute kenne, die welche haben. Das gibt es hier im Wilden Westen nicht.

Greyhound

Es stimmt schon wenn es heiß, in den Staaten kommt nur gut herum, wer ein eigenes Auto hat. Vor allem kleinere Orte oder entlegenere Gegenden erreicht man kaum ohne ein solches. Selbst entlang der I-5, welche zwischen kanadischer und der mexikanischer Grenze alle großen Städte an der Westküste verbindet, kann man nicht jeden Ort ohne Problem mit dem Bus erreichen. Es gibt nur wenige Unternehmen, die überhaupt längere Strecken bedienen. Und das tun sie dann auch nur zwei oder drei Mal am Tag.

Greyhound - 1 © Knut Hildebrandt

Allen bekannt dürften die silbernen Greyhound Busse sein. Sie galten lange Zeit als das Symbol für das Reisen in Amerika. Wer hat nicht schon mal in einem alten amerikanischen Film gesehen, wie eines dieser elegant wirkenden Gefährte einen imposanten Busbahnhof veräßt? Heutzutage sehen die Busse nicht nur anders aus als in den alten Tagen. Sie werden auch nur noch von wenigen genutzt. Eine Freundin meinte, mit dem Bus fahren nur Menschen, die kein Geld haben. Und dem entsprechend sieht auch der Service aus.

In Eugene war das Terminal nicht mehr als eine Tordurchfahrt mit angeschlossenem Wartesaal. Alles wirkte ziemlich abgenutzt und strahlte den Charme des Busbahnhofs eines mexikanischen Provinznests aus. Auch erinnerten meine Mitreisenden nicht im Entferntesten an das junge, hippe Studentenvolk, das Eugenes Straßen bevölkert. Der einzige im Saal mit guter Laune schien der Typ hinter dem Ticketschalter zu sein. In einem Fort texte er die Leute zu und riss Witze. Für jeden hatte er einen flotten Spruch auf Lager. Mich lobte er zur Belustigung aller dafür, daß ich in der Lage war mein Ticket richtig auszudrucken. Und das mit einem Zungenschlag, der es mir schwer fallen ließ, ihn überhaupt zu verstehen.

Greyhound - 3 © Knut Hildebrandt

Der Bus enttäuschte nicht weniger als das Terminal. Von der Eleganz vergangener Tage war nichts mehr zu verspüren. Zwar bog keiner der Busse aus den alten Filmen in die Toreinfahrt ein, seine besten Tage hatte dieser allerdings auch schon vor langer Zeit gesehen. In Mexiko hätte er gut und gerne einen Zweite-Klasse-Bus abgegeben können. Auch trotz des zum Teil erheblichen Sparpotentials gegenüber den besseren Buslinien fahre ich dort aber kaum noch zweite Klasse. Die oftmals von den anderen Linien ausgemusterten Gefährte sind nämlich nicht wirklich zuverlässig und brechen gerne mal auf der Strecke zusammen. Ich hoffe, daß Greyhound zumindest in diesem Punkt etwas besser als die billigen Mexikaner abschneidet.

Was mir ebenfalls nicht so wirkliche passen wollte war der Umstand, daß es keine Nachtbusse gibt. Im besten Fall konnte ich am frühen Morgen abfahren oder spät am Abend ankommen. Die sieben Stunden Fahrt einfach des nachts im Bus durch zu schlafen war leider nicht möglich. Ich zog es dann vor, zu einiger Maßen angenehmer Zeit am späten Vormittag die Reise anzutreten. Und das sollte sich als glücklicher Umstand heraus stellen. Denn so verschlief ich nicht die atemberaubende Landschaft, durch die wir gen Süden fuhren.

Greyhound - 4 © Knut Hildebrandt

Um so weiter wir uns in Richtung Kalifornien vor arbeiteten, umso mehr erinnerte mich alles an Mexiko. Der Highway schlängelte sich entlang endloser Flußtäler durch die Berge. Nicht selten teilte er sich. Während eine Spur sich nah am Fluß an den Berg schmiegte, zog sich die andere Dutzende Meter weiter oben ihn entlang. Mit jedem gefahrenen Kilometer wurde die Landschaft trockener. Und irgendwann tauchte am Horizont ein schneebedeckter Kegel auf, Mount Shasta, der einem ganzen County, mehreren Orten und nicht zuletzt einem riesigen Staudamm seinen Namen gab. Jetzt war es nicht mehr weit bis zum Ziel. Redding lag gerade mal fünfzig Meilen südlich des Vulkans.

Pogo in Portland

Bildstrecke Portland Bildserie Portland – © Knut Hildebrandt

Seit zwei Tagen bin ich in Portland. Der Trip hierher war in zweierlei Hinsicht ein Novum. Ich bin nicht, wie üblich, mit dem Bus gefahren, sondern habe mir über craigslist.com eine Mitfahrgelegenheit gesucht. Und hier in Portland habe ich meine ersten Übernachtungen als Couchsurfer. Beides ließ sich allerdings etwas schwierig an. Nachdem Bill, mein Gastgeber, recht schnell auf meine Anfrage reagiert und zugesagt hattet, hörte ich bis zur Abfahrt aus Seattle nichts mehr von ihm. Ich hatte weder eine Telefonnummer noch kannte ich seine Adresse. Diese erfuhr ich erst, als ich auf der Fahrt nach Portland noch einmal meine Mail checkte. Aber auch die Fahrt selbst wäre fast nicht zustande gekommen. Ich war schon am Losgehen, als eine knappe halbe Stunde nach dem verabredeten Zeitpunkt Zach auftauchte. Auch von ihm hatte ich nichts außer einer Mailadresse, sodaß ich nicht einmal anrufen konnte, um nachzufragen, ob und wann er auftauchen würde.

Trotz der Anlaufschwierigkeiten war sowohl die Fahrt mit Zach, als auch der der Aufenthalt bei Bill großartig. Zach arbeitet in der Musikbranche und Bill hat in den Achtzigern die Musikszene in London und Berlin erkundet. Mit beiden gab es jede Menge zu erzählen. Mit Bill habe ich einen Abend noch alte Musikvideos aus den Achtzigern und Neunzigern gesehen. Er hat mir seine Favoriten gezeigt und ich ihm meine.

Bildstrecke Alberta Street Bildserie Alberta Street – © Knut Hildebrandt

Nur gut zwanzig Blocks nördlich von Bills Haus befindet sich Alberta Street. Umgeben von einem Meer an farbenfrohen Holzhäusern, die meisten Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut, zieht sie sich über fünfzig Blocks von Ost nach West. Am westlichen Ende unterscheidet sich Alberta Street kaum von den sie umgebenen Wohngebieten. Abgesehen vom etwas höheren Verkehrsaufkommen fielen mir nur die kleine Pumpstation der Gaswerke, eine Schule und eine Kirche auf.

Ein ganz anderes Bild bietet sich allerdings auf den letzten gut zwanzig Blocks. Hier findet der Besucher eine bunte Mischung an Boutiquen, Galerien, Geschäften und Restaurants. Es gibt etwas für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel. Nur wenige Türen vom Öko-Supermarkt hat ein mexikanischer Tante-Emma-Laden bis spät in die Nacht geöffnete. Gleich neben einem noblen Restaurant kann man sich in einem kleinen Coffeeshop bei cooler Musik durch die umfangreiche Kaffeeauswahl probieren oder zur Happyhour schon mal den Abend mit einem ersten Bier einläuten.

Bildstrecke North East Bildserie North East Portland – © Knut Hildebrandt

Bereits als wir von Seattle kommend in die Stadt fuhren fiel mir die Straße auf. Nicht nur daß hier viel mehr und vor allem junge Leute unterwegs waren. Auch gab es jede Menge Graffiti. Die Fassaden einiger Häuser sahen aus wie riesige Wandbilder. Natürlich mußte ich diese Gegend genauer erkunden. Als ich das kurz nach meiner Ankunft Bill gegenüber erwähnte, war sofort entschieden, daß wir noch mal los ziehen, Alberta Street einen abendlichen Besuch abstatten.

Nach knapp zwanzig Minuten Fußmarsch waren wir endlich da. Da Bill den ganzen Tag im Keller eines Freundes mit Bier brauen verbracht hatte, war er recht hungrig. Deshalb schlug er vor, erst einmal an einem der Foodcarts einen Snack zu sich zu nehmen. Foodcarts findet man an fast jeder Straßenecke in Portland. Es sind fahrbare Imbisse, an denen es gut und günstig zu essen gibt.

Bildstrecke Willamette Bildserie Willamette River – © Knut Hildebrandt

Nachdem der größte Hunger mit ein paar Empanadas gestillt worden war, wollte Bill unbedingt zu einen Eisladen mit dem interessanten Namen „Salt & Straw“. Daß dieser etwas besonderes ist, ließ schon die lange Schlange davor vermuten. Wir brauchten mehr als eine viertel Stunde, bevor endlich die Reihe an uns war. Das lag vor allem daran, weil niemand einfach nur ein Eis bestellte. Die Leute hinter der Theke reichten jedem Kunden erst einmal kleine Löffel mit Samples so ausgefallener Eissorten wie „Pfeffer-Marmelade“, „Geröstete Feige“ oder „Apple Pie“. Erst wer das alles gekostet hatte, konnte entscheiden was das Herz wirklich begehrt.

Während wir noch geduldig darauf warteten uns auch durch das exotische Angebot probieren zu dürfen, fiel mir ein Laden auf der anderen Straßenseite auf. Aus diesem dröhnte laute Musik. Davor standen dutzende Leute im schwarzen Klamotten und unterhielten sich bei einer Kippe. Mich interessierte allerdings eher, was drinnen abging. Also schob ich mich am Türsteher vorbei in das Innere des Klubs.

Bildstrecke Downtown Bildserie Downtown – © Knut Hildebrandt

Der Laden hätte auch gut irgendwo in Berlin sein können. Er erinnerte ein wenig an ehemalige Besetzerkneipen. Es war dunkel drinnen und alles sah etwas abgenutzt aber gemütlich aus. Einzig die riesigen Monitore über der Bar paßten nicht so ganz ins Bild.

Durch einen Vorhang von der eigentlichen Kneipe abgetrennt gab es einen zweiten Raum. Aus diesem ertönte ohrenbetäubender Lärm. Eine Hardcoreband tobte sich gerade aus. Als ich den Einlasser fragte, wer noch so spielen würde, meinte er, daß es so ähnlich weiter ginge. Das war leider nicht so ganz nach meinem Geschmack. Doch zum Glück sollte es am nächsten Abend wieder ein Konzert geben. Dann würden vier Punkbands auftreten.

Bildstrecke Burnside Skater Bildserie Burnside Skate Park – © Knut Hildebrandt

Also machten wir uns auch am folgenden Abend auf den Weg zum „The Know“ in der Alberta Street. Als wir dort gegen halb zehn aufschlugen war gerade die dritte Band dabei auf die Bühne zu steigen. Und sofort ging es ab. Allerdings nur dort oben. Denn das Publikum stand wie angewurzelt herum, nippte am Bier und schwätzte ein wenig. Niemand außer mir wollte sich so recht bewegen. Und somit durfte ich ganz alleine zwischen den viele hippen, jungen Menschen herum pogen. Offensichtlich schien die letzte Band dann Mitleid mit mir zu haben. Den die Sängerin und ihr Kompagnon kamen von der Bühne und sprangen ebenfalls, wild schreiend, durch die lahme Menge.

Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten

Bildstrecke Homeless Armut wohin man schaut – Obdachlose am Old Town Saturday Market – © Knut Hildebrandt

Was mir neben dem recht ruppigen Umgang an der Grenze ebenfalls negativ auffiel, ist die Armut hier in den Staaten. In großen Städten wie Seattle und Portland trifft man aller Orten auf Obdachlose und Bettler Und die sehen meistens nicht wie das drogenabhängige Klientel aus der Hastings Street in Vancouver aus. Viele wirken auf mich aber niedergeschlagen und depressiv.

Tyler meinte, die Jobsituation in den Staaten sei derzeit katastrophal. Viele Menschen verdienen so we­nig, daß es kaum zum Leben reicht. Deswegen können sie sich auch keine Krankenversicherung leisten. Da hilft auch die von Obama eingeführte Krankenversicherungspflicht und die mit ihr ein­hergehende Unterstützung der ärmeren Bevölkerungsschichten wenig. Diese bekommt man nämlich erst im Nachhinein und zwar nach Abgabe der Steuerklärung ausgezahlt. Bezahlen muß man die Versicherung aber sofort und zwar von dem Geld, das man eigentlich zum Leben benötigt. Sich um die Krankenversicherung wie bisher zu drücken geht aber auch nicht. Ab Ende des Jahres werden dafür drastische Strafen erhoben. Tyler wird deshalb jetzt für um die 160 Dollar im Monat eine Versi­cherung abschließen, die gerade mal das Nötigste für den Notfall abdeckt.

Bildstrecke Bellingham Bildserie Bellingham alternativ – © Knut Hildebrandt

Besonders auffällig wurde diese alltägliche Armut in einem Supermarkt mit dem schönen Namen „Grocery Outlet“. In diesem gibt es alles um bis zu 50% herabgesetzt. Die Sachen stammen aus an­deren Märkten, die sie nicht rechtzeitig los geworden sind. Beim Grocery Outlet kauft der ärmere Teil der Bevölkerung ein. Das sind die Leute, für die jeder Dollar zählt. Es war schon beklemmend zu sehen, wie sich das gar nicht so alte Paar vor uns freute, als das Mädel an der Kasse ihnen zuträllerte, daß sie gerade gut 25 Dollar gespart hätten. Sofort überlegten die beiden, wo die gesparten Kohle ansonsten gefehlt hät­te.

Fast alle Leute, die ich bisher kennen gelernt habe jobben in einem Restaurant oder haben dort einen Zweitjob. Das trifft nicht nur auf Tyler zu, dem zur Zeit das nötige Kleingeld fehlt, sein Studium zu beenden. Auch seine Schwester, die ihren Bachelor in Psychologie bereits in der Tasche hat, ar­beitet noch in einer Bar. Selbst sein Freund Jake muß sein Lehrergehalt mit einem Nebenjob als Bar­tender aufbessern. Eine feste Anstellung findet er nämlich nicht. Deshalb gibt er Vertretungsstunden auf Zuruf. Das läuft meist so, daß er am Abend oder früh am Morgen seine Mail checkt, um zu se­hen, ob ein Job im Angebot ist. Dann heißt es schnell zuschlagen, das Angebot annehmen und die Stunde(n) abreißen.

Bildstrecke Bellingham altern. Bildserie Bellingham alternativ – © Knut Hildebrandt

Bei einem unserer Gespräche über die derzeitige Situation in den Staaten erwähnte Tyler auch, daß gut ein Fünftel aller Kinder in den USA nur zwei Mahlzeiten am Tag hätten. Sein Freund Jake bestätigte das und ergänzte, daß dies dann in der Regel die Schulspeisung sei. Für Kids aus armen Familien ist diese kostenlos und oft das einzige, was sie unter der Woche zu essen bekommen.

Viele Amerikaner erhalten auch Food Stamps, damit sie sich ausreichend ernähren können. Diese Lebenssmittelmarken können in den meisten Supermärkten gegen Nahrungsmittel eingelöst wer­den. Tyler hatte auch eine Zeit lang welche bezogen. Er bekam Marken im Wert von um die 200 Dol­lar im Monat. Seit er mit mehrere kleinen Jobs ein regelmäßiges, bescheidenes Einkommen hat, lohnt sich der Aufwand der Beantragung nicht mehr. Er würde jetzt nur noch um die 20 Dollar be­kommen. Der Hammer ist: die Republikaner versuchen gerade im Repräsentantenhaus durchzusetzten, daß die Mittel für die Food Stamps drastisch gekürzt werden. Ihrer Meinung nach sind die Bezieher der Marken arbeitsscheu und machten sich nur auf Staatskosten ein gutes Leben.

Bildstrecke Bellingham Bay Bildserie Bellingham Bay – © Knut Hildebrandt

Auf der anderen Seite scheint es hier in den Staaten aber nicht wenige Leuten zu geben, die nicht wissen wohin mit ihrer Kohle. In dem Restaurant, in dem Jake kellnert, gab es kaum ein Hauptgericht unter dreißig Dollar. Und der Laden war fast jeden Abend gut besucht. Tyler erwähnte auch einen Freund, der für Google als Programmierer arbeitet. Dieser verdient mit gera­de mal fünfundzwanzig 250.000 Dollar im Jahr. Die braucht er aber auch, weil er in San Francisco lebt. Die Mietkosten in der Stadt sind gerade dabei zu explodieren. Tyler zeigte mir eine Karte im Netz, aus der hervor ging wie viele Jobs die alteingesessene Bevölkerung haben müßte, um sich ihre Bude bei Neuvermietung noch leisten zu können. Das Krasseste war das acht bis neunfache. Kein Wun­der, daß viele aus der Stadt abwandern. So vielen Nebenjobs kann ja kein Mensch nachgehen.

Welcome to America

WelcomeAn der Grenze zu Kanada – © Knut Hildebrandt

Was an der Grenze abging war wenig erfreulich und machte Tyler sogar richtig gehend wütend. Ich blieb da etwas gelassener, denn mir war ja von vornherein klar gewesen, daß wir nicht einfach so durchgewunken werden. Nicht mit einem Ausländer im Gepäck. Allerdings hatte ich nicht mit dem Theater gerechnet, das uns hier erwartete. Normaler Weise werden einem bei der Einreise in die Staaten ganz freundlich ein paar Fragen zum wohin und warum gestellt, man darf einmal nett in die Kamera lächeln und noch die Pfötchen kurz auf den Scanner legen. Und das war’s dann auch schon. So lief es zumindest bisher immer bei mir ab.

Leicht anders sah das Procedere hier an der Grenze zu Kanada aus. Die Schlange war zwar bei weitem nicht so lang, wie ich es von meinen Ankünften mit dem Flieger kenne. Dafür zog sich die Abfertigung um so mehr in die Länge. Zum Glück mußten wir uns nicht an die lange Schlange anstellen, sondern an die, wo nur zwei Leute vor uns warteten.

Uns gegenüber saßen ein halbes Dutzend grimmig dreinschauende Officer. Wenn diese nicht gerade grummlig auf einen vor ihnen stehenden Einreisewilligen einredeten, starrten sie ohne eine Miene zu verziehen auf ihre Computerbildschirme. Das kann Mensch ganz schön beschäftigen und dauert dann auch schon mal ein Weilchen.

Verhört und gefilzt wie ein Schwerverbrecher

Als die Reihe endlich an uns war, wurde zuerst Tyler befragt. Der Beamte wollte wissen, woher er mich kenne und warum er mit mir unterwegs sei. Und das alles in einem Ton, den ich nicht gerade als freundlich gesinnt empfand. Noch eindringlicher wurden die Fragen, als er sich mir zuwandte. Der Typ interessierte sich nicht nur dafür, warum ich in die USA reisen wolle, sondern auch wie es mir möglich sei eine so lange Reise zu unternehmen und diese zu finanzieren. Spannend wurde es, als er mein Rückflugticket sehen wollte. Da es sich um ein E-Ticket handelt, hatte ich es natürlich nicht in der Tasche. Zum Glück und zu seiner großen Genugtuung konnte ich noch eine Kopie des Tickets auf meinem Handy finden.

Bevor wir dann zum Standardprocedere zurückkehren konnten, durchsuchte der Beamte noch Tylers Wagen. Wir durften es uns derweil in der Abfertigungshalle gemütlich machen und sahen nicht, was er genau tat. Wie mir erst später am Abend auffiel, hat er jede noch so kleine Tasche meines Rucksacks durchwühlt. Alle Reißverschlüsse waren offen und ich fand sogar einen Teil von Tylers Sachen in meinem Gepäck. Tyler ist sogar der Auffassung, daß der Beamte ein Käsecroissant vernascht hat, daß er sich in Vancouver für die Heimreise gekauft hatte. Die Tüte, die es hätte enthalten müssen, lag noch im Kofferraum, Das Croissant war allerdings verschwunden.