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Día de los Muertos

Punkt zwölf Uhr mittags bricht die Fiesta wie ein Gewittersturm über Xochimilco, einem kleinen Viertel im Norden Oaxacas, herein. Donnerschlag folgt auf Donnerschlag, als die Raketen am strahlend blauen Himmel mit lautem Knall explodieren. Doch Augustin Chávez kann das nicht erschrecken. „Wir sind das gewöhnt“, brüllt mir der Mitvierziger, der nicht weit entfernt von Xochimilcos Kirche eine kleine Pension betreibt, entgegen. „Das ist bei jedem Fest in Oaxaca so.“ Chávez ist gerade auf dem Weg zum Friedhof, um dort gemeinsam mit der Familie den „Dia de los Muertos“ zu feiern.

Am Grab Am Grab – © Knut Hildebrandt

Jedes Jahr wird Anfang November in Mexiko der „Tag der Toten“ begangen. Nach wochenlangen Vorbereitungen trifft sich die ganze Familie, um an den Gräbern der Vorfahren ein farbenfrohes Fest zu feiern. Nach altem mexikanischen Glauben kehren nämlich die Seelen der Verstorbenen in der Zeit zwischen 31. Oktober und zweitem November zu Besuch auf die Erde zurück. In Oaxaca beschränken sich die Feierlichkeiten allerdings nicht nur auf diese drei Tage, meint Chávez: „Bis Ende November wird jeden Montag auf einem der vier ältesten Friedhöfe der Stadt ein eigenes Totenfest gefeiert.“ Mittlerweile spielt eine Blaskapelle, seine Worte sind kaum noch zu verstehen. Dann plötzlich Stille. Der Pfarrer spricht mit monotoner Stimme. Kurze Zeit später wieder Explosionen, die Kapelle spielt weiter. Der „Día de los Muertos“ von Xochimilco hat begonnen.

Xochimilcos Friedhof liegt hinter einer hohen, mit bunten Glasscherben gespickten Mauer. Er besteht aus einer unübersichtlichen Ansammlung zum Teil windschiefer Grabsteine. Zwischen den Gräbern ist kaum mehr als ein Fuß breit Platz. Nur wenige, schmale Wege durchziehen den im Schachbrettmuster angelegten Gottesacker. Ich muss fast über die Grabstellen springen, um Augustin zu folgen. Den scheint das Chaos wenig zu stören. Beherzt steigt er auf und über die Gräber. Ziel ist die mit frischen Blumen und bunten Kerzen geschmückte Ruhestätte seiner Ahnen. Hier warten schon die Verwandten und lauschen andächtig der Predigt des Geistlichen.

Die Blaskapelle Die Blaskapelle – © Knut Hildebrandt

Nach der Messe kommt die Fiesta erst richtig in Schwung. Die Blaskapelle zieht von Grabstätte zu Grabstätte. Mit der Kapelle ziehen Jugendliche über den Friedhof. Sie tragen die martialisch anmutenden Masken der Luchadore, der mexikanischen Freistilringer. Die Jungen und Mädchen stecken in schwarzen Kostümen mit langen Schwänzen, welche über und über mit Schellen aus Messing behangen sind. Sie halten Peitschen in den Händen, mit denen sie wild um sich schlagen. Wie Derwische tanzen die jungen Leute zwischen, über und auf den Gräbern. Nach kürzester Zeit ist der ganze Friedhof in eine dichte Staubwolken gehüllt.

Durch die Masse der dicht um die Tänzer stehenden Schaulustigen drängen fliegende Händler und bieten Snacks an, Tacos mit feuerroter „Salchicha“ oder Tamales, scharf gewürzte Rollen aus Maisteig, die mit Käse, Fleisch und Gemüse aus Bananenblättern gegessen werden. Der Festschmaus kann beginnen! Augustin Chávez zieht Speisen und Getränke aus seinen großen Taschen. Auch eine Flasche Mezcal ist dabei. Denn: „Ein guter Tequila gehört zu jeder Fiesta!“ Chavéz schenkt ein und immer wieder nach.

Derwische Tanz der Derwische – © Knut Hildebrandt

Am frühen Abend ist das Festessen beendet. Augustin klappt die mitgebrachten Stühle zusammen und verstaut das Geschirr. „Höhepunkt des Festes“, sagt er, „wird das Konzert des Orquestra Primavera“. Das Konzert des „Frühlingsorchester“ soll um 18 Uhr beginnen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu der kleinen Bühne, die zwischen Kirche und Friedhof aufgebaut wurde. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit nehmen auf ihr die gut vierzig Musiker Platz und beginnen ihr einstündiges, immer wieder von begeistertem Applaus unterbrochenes Konzert.

Während vor der Kirche das halbe Viertel andächtig den süßlichen Klängen zwischen Klassik und Latinorhythmen lauscht, geht hinter der hohen Friedhofsmauer die Party weiter. Im Kerzenschein zieht die Blaskapelle immer noch kreuz und quer über den Friedhof. Wo immer sie zwischen den Gräbern Platz für ihre große Trommel findet, bleibt sie stehen und spielt ein, zwei Lieder. Die Derwische tanzen dazu wie in Trance und stoßen dabei wilde Schreie aus. Mit ihnen walzen einige Paare durch den Staub des Totenackers. Und alle trinken zusammen. Reichlich angetrunkene Männer schleppen in großen Pappkartons Bier heran und verteilen die Flaschen an die Tänzer und Musikanten. Und Mezcal wird getrunken, viel Mezcal. Aus Fünfliterkanistern schenkt man ihn ein. Sein beißender Geruch nach billigem Sprit vermischt sich langsam mit dem schweren Duft von Weihrauch, der noch über dem Friedhof hängt. Bald sind alle betrunken und nicht wenige liegen jetzt auch auf den Gräbern herum.

Umzug Umzug – © Knut Hildebrandt

Gegen halb acht geht das Fest zu Ende. Die Feiernden ziehen mit der Blaskapelle durch das großes Friedhofstor, welches für die Nacht wieder verschlossen wird. Vor der Kirche treffen sie auf eine abenteuerlich kostümierte, bizarre Masken tragende Schauspieltruppe. Zusammen tobt dann der ganze Haufen zu den Klängen der Blasmusik durch die Straßen Xochimilcos davon. Mit den letzten Gästen ist auch Augustin verschwunden. Zurück bleiben fünf, sechs Kinder, die vor den verschlossenen Toren des Kirchhofes fröhlich über das noch warme Pflaster springen und Seifenblasen auf die Reise durch die nächtlichen Straßen schicken. Es zieht wieder Ruhe ein in Xochimilco. Der „Día de los Muertos“ ist vorüber.

Oaxaca de Fiesta

Tänzerinnen Festumzug durch Oaxaca – © Knut Hildebrandt

In Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates in Südmexiko, vermischen sich christliche Religion und indigene Tradition zu einer farbenfrohen Festkultur. Eine besondere Rolle im Festleben Oaxacas spielt die Semana Santa. Während der Karwoche vergeht kein Tag ohne religiöse Prozession oder farbenprächtigen Festumzug. Aber schon Wochen vorher, beginnend mit dem Aschermittwoch, gibt es immer wieder kleinere oder größere religiöse Feste. So wird zu Samarintana, eine Woche vor Karfreitag, der „Día del Agua“ begangen. Vor Kirchen und Geschäften, aber auch in Büros, Schulen und der Universität werden an diesem Tag eisgekühlte Fruchtsaftschorlen an Passanten und Besucher ausgeschenkt. Einen der Höhepunkte der Osterfeierlichkeiten stellt die „Prozession des Schweigens“ dar. Am Abend des Karfreitags tragen Gläubige die Heiligenstatuen der größten Kirchen Oaxacas in langen Festzügen durch die Straßen der historischen Innenstadt.

Vermummter Procesión del Silencio – © Knut Hildebrandt

Nach den Osterfeiertagen wird es etwas ruhiger in der Stadt. Aber: nach der Fiesta ist hier auch stets vor der Fiesta. Denn in Oaxaca wird immer irgendwo ein Fest gefeiert. Sei es das Jubiläum einer Schule oder der Namenstag eines Heiligen, ein Grund zum feiern ist schnell gefunden. Dann ziehen die Oaxaceños bunt verkleidet, zu den Klängen einer Blaskapelle tanzend durch die Straßen der Stadt und trinken dabei auch so manches Gläschen Mezcal.

Und ab Ende Oktober geht es dann auch wieder richtig los. Der „Día de los Muertos“ wird in Oaxaca nämlich ganze vier mal begangen. An jedem Montag im Monat November findet auf einem der vier ältesten Friedhöfe der Stadt eine eigene Totenfeier statt. Ist das letzte Totenfest vorbei, beginnt auch schon die Vorweihnachtszeit. In ihr vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht Nachbarn zur gemeinsamen Weihnachtsfeier auf den Straßen ihres Viertels versammeln oder vor einer der wichtigsten Kirchen der Stadt ein Weihnachtsmarkt stattfindet. In die Weihnachtszeit fällt auch die „Noche de Rábanos“. Zu ihr werden am Tag vor Heiligabend Bildnisse aus Rettich auf dem festlich geschmückten Zocalo ausgestellt.

Ein Mißverständnis kommt selten allein

Manchmal kann ein Mißverständnis der Ausgangspunkt für richtig tolle Begegnungen sein. Ich weiß nicht mehr genau, was mir Franky in jener Nacht vor dem Platzhaus auf dem Helmi erzählt hatte. Wir haben viel über Trekkingtouren, Reiserouten und Unterkünfte geredet. Zum Chã das Calderas standen auf meinem Notizzettel: Kneipe, Ramiro und in Klammern Fidel. Daraus habe ich haarscharf geschlossen, daß ich in besagter Lokalität einen Fidel nach Unterkunft fragen sollte und ließ mich deshalb vom Fahrer des Aluguers dort absetzen.

Bildstrecke Chã das Caldeiras Bildserie „Chã das Caldeiras“ – © Knut Hildebrandt

Im Casa Ramiro war man nicht wenig erstaunt über mein Anliegen, hier übernachten zu wollen. Auch einen Fidel kannte man dort nicht und an Frank konnte sich niemand so recht erinnern. Aber ein Zimmer hätten sie trotzdem für mich, wenn ich mit Kerzen- statt elektrischem Licht und Duschwasser aus dem Eimer leben könne. Das konnte ich sehr wohl. Das Zimmer war sauber und nett eingerichtet. Da hatte ich schon weitaus spartanischer übernachtet. Und bei Ramiro unterzukommen, war wirklich etwas besonderes. Ich wurde regelrecht in die Familie aufgenommen.

Später am Abend, als in der Kneipe aufgespielt wurde, erfuhr ich dann auch, daß Ramiro der quirlige Typ mit der Geige war, der den kleinen Saal zum Brodeln brachte. So klärte sich am Ende mein Irrtum doch noch auf. Er sollte allerdings nicht der einzige für diesen Tag bleiben.

Bildstrecke Ramiros Hof Bildserie „Casa Ramiro“ – © Knut Hildebrandt

Nach dem viel zu frühen Ende des Konzertes verabschiedeten sich die Musiker einzeln von den noch wenigen verbliebenen Gästen. Dabei meinte der Trommler zu mir, daß sie in einer Herberge, am anderen Ende des Dorfes weiter spielen werden. Ich dachte, daß dort das kleine Konzert fortgesetzt wird und fragte, ob ich mitkommen könne. Also wurde ich mit dem Rest der Bande auf die Ladefläche eines Pickup gesetzt und zum Casa Monte Amarelo gefahren.

Merkwürdig war nur, daß es dort keinen Platz zum Spielen gab. Statt dessen hatte man eine lange Tafel festlich eingedeckt. Da schwante mir Böses. Und so kam es dann auch. Nach einem kurzen Ständchen auf der Veranda wurde zu Tisch gebeten.

Bildstrecke Ramiro Bildserie „Ramiro“ – © Knut Hildebrandt

Jetzt erfuhr ich auch, daß ich auf einem Abschiedsessen war. Und die zu Verabschiedenden konnten eigentlich nur die beiden anderen Bleichgesichter am Tisch sein. Das waren Claudia und ihr Mann, zwei Österreicher, die seit Jahren regelmäßig in den Chã kommen und hier soziale Projekte unterstützen. Darüber sprachen wir allerdings erst später. Anfangs saß ich etwas verloren herum, während alle anderen munter auf portugiesisch plauderten und sich dabei köstlich amüsierten.

So richtig lustig wurde es nach dem Essen. Ramiro holte die Fidel hervor und spielte auf. Mit ihm musizierten unter anderem sein Sohn David und der Herr Papa, ein lustiger Alter, mit großartiger Stimme. So wurde mein erster Abend im Chã das Calderas zu einem unvergeßlichen Erlebnis.

One night in Santa Maria

Nach dem Abendessen bin ich mit Lau, Rob und Stanley ausgegangen. Unser erster Anlaufpunkt in Santa Maria war, was anfangs wie eine Sportbar aussah. Grelles Neonlicht schien uns entgegen. Ein paar Leute standen um einen Pooltable. Der Rest starrte auf den Fernseher neben dem Tresen und folgte gespannt einem Fußballspiel. Den Tresen einen solchen zu nennen, ist auch eher gewagt. Eigenlicht bestand er nur aus einem Fenster in der Wand. Hinter diesem verbargen sich eine Zapfanlage und ein Kühlschrank mit Flaschenbieren und Softdrinks. Allerdings holte sich außer uns sich kaum jemand dort etwas zu trinken.

Dinghy Landgang auf Sal – © Knut Hildebrandt

Das eigentliche Geheimnis der Bar sollte sich bald lüften. Denn nach und nach füllte sich der Laden. Während die neuen Gäste sich einen freien Platz an den Tischen suchten, rannte ein Typ durch die Menge und tauschte bunte Pappkärtchen gegen Geld. Jeder der Neuankömmlinge hatte bald mehrere dieser Karten und einen Haufen Maiskörner vor sich zu liegen. Während sich Lau, Rob und Stanley noch anbrüllten, um das Gemurmel im Raum zu übertönen, kehrte langsam Ruhe ein. Plötzlich nahm ein Typ eine abgegriffene Plastikflasche in die Hand, schüttelte diese, fingerte etwas aus ihr heraus und rief laut ein Zahl in die Runde. Ein Teil der Anwesenden griff ein Maiskorn und platzierte es auf dem Päppchen vor sich. Nun wußten wir, daß wir in einem Bingoladen gelandet waren.

Plötzlich war auch Schluß mit unserer Unterhaltung. Denn das hätte nur die gespannte Ruhe im Saal gestört. Also folgten wir anfangs interessiert, irgendwann leicht gelangweilt dem Geschehen und schlürften dabei unsere Biere aus. Rechtzeitig zum Ende des Spieleabends, der anscheinend nur aus drei Runden bestand, war auch das geschafft und wir zogen weiter.

Fischer am Strand Feierabendbier – © Knut Hildebrandt

Der nächste Laden wirkte wie ein kleiner Imbiss. Vor ihm saßen ein paar Leute und tranken Bier oder Wein. Wir gesellten uns dazu und bestellten drei Gezapfte und eine Runde Grog, den wir nach Laus Meinung unbedingt probieren mußten. Erstere kamen dann auch ziemlich schnell, letzterer nie. Denn während wir den Gerstensaft die Kehlen herunter rinnen ließen, wurden an den anderen Tischen bereits die Stühle hoch gestellt. Alles sah nach Feierabend aus.

Bevor wir weiter zogen, entbrannt noch einmal die Diskussion, wohin es denn eigentlich gehen sollte. Stanley wollte unbedingt tanzen gehen. Er war eigentlich schon sauer gewesen, daß wir nicht in dem Diskoschuppen, in den wir vor unserer Spielhölle kurz hinein gelugt hatten, geblieben sind. Aber sowohl Lau, als auch Rob gefiel House so wenig wie mir, sodaß Stanley keine Chance hatte uns zum Bleiben zu überreden. Da den beiden immer noch nicht so recht nach Tanzen zumute war, tanzte Stan schon mal für sich alleine über die Straße und war dann plötzlich verschwunden. Und somit waren es ihrer nur noch drei.

Diese zogen dann weiter und entdeckten zwei Straßenecken weiter das wahre Nachtleben Santa Marias. Vor einem winzigen Laden standen mehrere Tische und ein Grill. Ständig hielten Autos an. Die Insassen griffen sich schnell etwas vom Rost oder ließen sich an einem der Tische nieder. Letzteres taten dann auch wir. Gezapftes gab es hier zwar nicht, dafür aber den Grog. Fragt bitte nicht nach Sonnenschein. Man hätte das Zeug auch gut als Putzmittel benutzen können, so scharf war es. Mich erinnerte das Gesöff irgendwie an den Billig-Mezcal, den es in den Bars Oaxacas gratis zum Bier gibt. Und der wirkt tödlich. Es versprach also noch ein lustiger Abend zu werden.

Bildstrecke Sloop Bildserie „In der Schaluppe vor Santa Maria“ – © Knut Hildebrandt

Aber erst einmal harrten unserer andere Abenteuer. Die Damen am Nebentisch schienen an einer Unterhaltung mit uns interessiert zu sein. Nach ein, zwei spendierten Drinks kam diese dann auch so langsam in Gang. Und zumindest eines der Mädels zeigte Interesse an weiter gehender Konversation. Während Lau intensiv ihre Hand knetete schlug sie vor, sich bei ihr zu Hause weiter zu unterhalten. Da die beiden anderen zwischenzeitlich verschwunden waren, zogen Rob und ich es vor, dies auch zu tun und Lau das Feld alleinzu überlassen. Und so waren wir nur noch zu zweit.

Santa Maria ist am Tage ein todlangweiliges und nicht gerade schönes Kaff. Neben unzähligen Hotels gibt es hier jede Menge Reisebüros und Immobilienhändler, die allerdings am Samstag alle ab Mittag geschlossen haben. Das gilt nicht für die Gastronomie. Ganz im Gegenteil, je später der Abend, umso mehr geht es ab. Also turnten Rob und ich als nächstes in einen recht cool wirkenden Club, aus welchem uns gute Musik entgegen schallte. Von dem ebenfalls cool aussehenden, international besetzten Personal hinter der Bar ließen wir uns zwei nicht gerade günstige Minibiere in die Hand drücken. Danach war dann aber auch schon Schluß mit dem Coolsein. Als ich mich ganz lässig auf einen der Tische schwang, wurde ich ziemlich uncool darum angehalten, mich doch lieber an diesen zu setzen. Zum Glück waren die Bierchen ja nicht allzu groß, sodaß es nicht lange dauerte bis wir endlich weiter ziehen konnten.

Bildstrecke Inseln am Morgen Bildserie „Inseln am Morgen“ – © Knut Hildebrandt

Der letzte Laden auf unserem Streifzug glich in vielem dem dritten. Er war winzig. Man konnte sich kaum um die eigene Achse drehen. Aber es gab eiskaltes Bier. Und das war es, was wir wollten. Während wir bedächtig durch das zweite oder dritte Fläschchen schlürften, klingelte Robs Telefon. Lau wollte wissen, wo wir stecken. Als wir vor die Tür traten, um ihn besser verstehen zu können, kam er auch schon allein um die Ecke geschossen. Auf meine Frage, was denn aus seiner Süßen geworden sei, war er recht kurz angebunden. Er meinte nur, diese sei genau das gewesen, was man bei ihrer Offenheit hätte erwarten können. Und danach habe ihm nicht der Sinn gestanden.

Vielmehr war ihm jetzt noch nach einer weiteren Runde Grog zumute. Diese wurde dann auch prompt eingeschenkt und sofort ausgetrunken. Ich kann mich jetzt nicht mehr so recht erinnern, wie viele Runden danach noch kamen. Angesichts der Tatsache, daß ich am nächsten Morgen nur kurz aufgestanden bin, um eine Runde ums Boot zu schwimmen und mich dann erst wieder von der Schiffsglocke zum Mittagessen wecken ließ, könnten es noch einige gewesen sein.

Nicht desto Trotz haben wir es heil auf das Schiff zurück geschafft. Und welch ein Wunder: als wir auf dem Landungssteg auf das Schlauchboot warteten, tauchte auch unsere Tanzmaus Stanley wieder auf. So konnten Fabienne und Anouk uns vier Landausflügler ohne größere Suchaktionen einsammeln und sicher zur Oosterschelde zurück bringen.

Pogo in Portland

Bildstrecke Portland Bildserie Portland – © Knut Hildebrandt

Seit zwei Tagen bin ich in Portland. Der Trip hierher war in zweierlei Hinsicht ein Novum. Ich bin nicht, wie üblich, mit dem Bus gefahren, sondern habe mir über craigslist.com eine Mitfahrgelegenheit gesucht. Und hier in Portland habe ich meine ersten Übernachtungen als Couchsurfer. Beides ließ sich allerdings etwas schwierig an. Nachdem Bill, mein Gastgeber, recht schnell auf meine Anfrage reagiert und zugesagt hattet, hörte ich bis zur Abfahrt aus Seattle nichts mehr von ihm. Ich hatte weder eine Telefonnummer noch kannte ich seine Adresse. Diese erfuhr ich erst, als ich auf der Fahrt nach Portland noch einmal meine Mail checkte. Aber auch die Fahrt selbst wäre fast nicht zustande gekommen. Ich war schon am Losgehen, als eine knappe halbe Stunde nach dem verabredeten Zeitpunkt Zach auftauchte. Auch von ihm hatte ich nichts außer einer Mailadresse, sodaß ich nicht einmal anrufen konnte, um nachzufragen, ob und wann er auftauchen würde.

Trotz der Anlaufschwierigkeiten war sowohl die Fahrt mit Zach, als auch der der Aufenthalt bei Bill großartig. Zach arbeitet in der Musikbranche und Bill hat in den Achtzigern die Musikszene in London und Berlin erkundet. Mit beiden gab es jede Menge zu erzählen. Mit Bill habe ich einen Abend noch alte Musikvideos aus den Achtzigern und Neunzigern gesehen. Er hat mir seine Favoriten gezeigt und ich ihm meine.

Bildstrecke Alberta Street Bildserie Alberta Street – © Knut Hildebrandt

Nur gut zwanzig Blocks nördlich von Bills Haus befindet sich Alberta Street. Umgeben von einem Meer an farbenfrohen Holzhäusern, die meisten Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut, zieht sie sich über fünfzig Blocks von Ost nach West. Am westlichen Ende unterscheidet sich Alberta Street kaum von den sie umgebenen Wohngebieten. Abgesehen vom etwas höheren Verkehrsaufkommen fielen mir nur die kleine Pumpstation der Gaswerke, eine Schule und eine Kirche auf.

Ein ganz anderes Bild bietet sich allerdings auf den letzten gut zwanzig Blocks. Hier findet der Besucher eine bunte Mischung an Boutiquen, Galerien, Geschäften und Restaurants. Es gibt etwas für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel. Nur wenige Türen vom Öko-Supermarkt hat ein mexikanischer Tante-Emma-Laden bis spät in die Nacht geöffnete. Gleich neben einem noblen Restaurant kann man sich in einem kleinen Coffeeshop bei cooler Musik durch die umfangreiche Kaffeeauswahl probieren oder zur Happyhour schon mal den Abend mit einem ersten Bier einläuten.

Bildstrecke North East Bildserie North East Portland – © Knut Hildebrandt

Bereits als wir von Seattle kommend in die Stadt fuhren fiel mir die Straße auf. Nicht nur daß hier viel mehr und vor allem junge Leute unterwegs waren. Auch gab es jede Menge Graffiti. Die Fassaden einiger Häuser sahen aus wie riesige Wandbilder. Natürlich mußte ich diese Gegend genauer erkunden. Als ich das kurz nach meiner Ankunft Bill gegenüber erwähnte, war sofort entschieden, daß wir noch mal los ziehen, Alberta Street einen abendlichen Besuch abstatten.

Nach knapp zwanzig Minuten Fußmarsch waren wir endlich da. Da Bill den ganzen Tag im Keller eines Freundes mit Bier brauen verbracht hatte, war er recht hungrig. Deshalb schlug er vor, erst einmal an einem der Foodcarts einen Snack zu sich zu nehmen. Foodcarts findet man an fast jeder Straßenecke in Portland. Es sind fahrbare Imbisse, an denen es gut und günstig zu essen gibt.

Bildstrecke Willamette Bildserie Willamette River – © Knut Hildebrandt

Nachdem der größte Hunger mit ein paar Empanadas gestillt worden war, wollte Bill unbedingt zu einen Eisladen mit dem interessanten Namen „Salt & Straw“. Daß dieser etwas besonderes ist, ließ schon die lange Schlange davor vermuten. Wir brauchten mehr als eine viertel Stunde, bevor endlich die Reihe an uns war. Das lag vor allem daran, weil niemand einfach nur ein Eis bestellte. Die Leute hinter der Theke reichten jedem Kunden erst einmal kleine Löffel mit Samples so ausgefallener Eissorten wie „Pfeffer-Marmelade“, „Geröstete Feige“ oder „Apple Pie“. Erst wer das alles gekostet hatte, konnte entscheiden was das Herz wirklich begehrt.

Während wir noch geduldig darauf warteten uns auch durch das exotische Angebot probieren zu dürfen, fiel mir ein Laden auf der anderen Straßenseite auf. Aus diesem dröhnte laute Musik. Davor standen dutzende Leute im schwarzen Klamotten und unterhielten sich bei einer Kippe. Mich interessierte allerdings eher, was drinnen abging. Also schob ich mich am Türsteher vorbei in das Innere des Klubs.

Bildstrecke Downtown Bildserie Downtown – © Knut Hildebrandt

Der Laden hätte auch gut irgendwo in Berlin sein können. Er erinnerte ein wenig an ehemalige Besetzerkneipen. Es war dunkel drinnen und alles sah etwas abgenutzt aber gemütlich aus. Einzig die riesigen Monitore über der Bar paßten nicht so ganz ins Bild.

Durch einen Vorhang von der eigentlichen Kneipe abgetrennt gab es einen zweiten Raum. Aus diesem ertönte ohrenbetäubender Lärm. Eine Hardcoreband tobte sich gerade aus. Als ich den Einlasser fragte, wer noch so spielen würde, meinte er, daß es so ähnlich weiter ginge. Das war leider nicht so ganz nach meinem Geschmack. Doch zum Glück sollte es am nächsten Abend wieder ein Konzert geben. Dann würden vier Punkbands auftreten.

Bildstrecke Burnside Skater Bildserie Burnside Skate Park – © Knut Hildebrandt

Also machten wir uns auch am folgenden Abend auf den Weg zum „The Know“ in der Alberta Street. Als wir dort gegen halb zehn aufschlugen war gerade die dritte Band dabei auf die Bühne zu steigen. Und sofort ging es ab. Allerdings nur dort oben. Denn das Publikum stand wie angewurzelt herum, nippte am Bier und schwätzte ein wenig. Niemand außer mir wollte sich so recht bewegen. Und somit durfte ich ganz alleine zwischen den viele hippen, jungen Menschen herum pogen. Offensichtlich schien die letzte Band dann Mitleid mit mir zu haben. Den die Sängerin und ihr Kompagnon kamen von der Bühne und sprangen ebenfalls, wild schreiend, durch die lahme Menge.